Archiv der Kategorie: Hauspost

Die Schriftstellerin Shirley Michaela Seul erzählt von der schönsten Sache der Welt.

Bücher verbrennen

Ein Buch muss hübsch sein!

Meine frühere Nachbarin Rita, Vogelkundlerin und Lebenskünstlerin, ist im Alter von 83 Jahren verstorben. Ich habe ihre Bücher sortiert und wollte einige zu einer Sammelstelle bringen. Es war nicht einfach, überhaupt eine Adresse zu finden, an der ich Bücher abgeben kann. Bücher werden heute oft behandelt wie Pickel: Wer braucht die noch?

Meiner Meinung nach wir alle und zwar dringend, aber das ist, schaue ich aus dem Fenster, Schnee von heute.

Ich hatte drei Kartons im Auto. Diese wurden an der Büchersammelstelle abgewiesen, weil: Da sind ja Flecken drauf, da sind ja Eselsohren drin. Bücher, die wir nehmen, müssen hübsch sein.

“Aber es sind doch Bücher”, entgegnete ich. “Da geht es doch um den Inhalt, nicht um die Verpackung.”

“Wir wollen sie aber verkaufen, und da müssen sie adrett aussehen.”

Übrigens nahm der Wertstoffhof auch keine Bücher an. “Wohin soll ich sie dann bringen?”, fragte ich einen jungen Mitarbeiter in orangefarbener Jacke.

“Schmeißen Sie sie in Ihre Papiertonne oder verbrennen Sie sie”, riet er, der offenkundig zu wenig Bücher gelesen hatte.

 

 

Die Geschichte im Rosenstrauß

 

Was ist denn das? Eine zusammengeknüllte Zeitung? Neugierig gehe ich den Bahnsteig entlang. Und dann sehe ich es. Es sind zusammengeknüllte Hoffnungen. Wer hat hier wohl gewartet und wer ist nicht gekommen und warum? Ich bin eine Weile vor dem Rosenstrauß stehengeblieben und habe zugehört. Die Knospen haben sich entblättert,  ein paar Geschichten sind auf die kalten Pflastersteine voller Rollsplitt gefallen. Das war vor zwei Wochen. Und jetzt? Ist sie noch einmal gekommen oder er? Hat er wiederum am Bahnsteig gewartet oder sie? Oder ist das alles Schnee von gestern und das neue Jahr ab morgen beginnt ohne dich …

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Weinlyrik

 

Ich sage die Wahrheit, auch wenn ich keinen Wein trinke, in dem die Wahrheit liegen soll. Die Wahrheit ist, dass ich mir seit Jahrzehnten vornehme, endlich Wein zu trinken. Aber es klappt nicht. Es tut mir leid, Wein schmeckt mir nicht. Aber! Buchstaben schmecken mir. Und nun bin ich also wieder einmal im HubertusMoutainRefugio Allgäu in Balderschwang und schwinge mit. Denn der Wein dort wird so verkostet, wie ich ihn schätze: Auch in Buchstaben, Silben. Ja, die Weine sind Gedichte. Eine Kostprobe: Ein delikates Spiel von intensiven, vollen Fruchtaromen und mutig herben Akzenten.

Dieses Buch-Bukett will ich sofort lesen!!! Und erst recht die saftigen Melodien, süße Kirschen und zarte Erdbeeren hören. Die meine Nase und Gaumen umschmeicheln! Wie großartig hier die Sinne miteinander verwoben werden, ja mehr noch: tanzen!

Vor vielen Jahren saß ich einmal in der U-Bahn und schaute einem Mann zu, der eine Partitur las. Seine Augen funkelten, er lächelte, nickte, wippte, blätterte um, ein Fuß wippte im Takt. Er hörte, was er las. Am Frühstückstisch im Hubertus sitzend schmecke ich, was ich lese: Am Gaumen ein schlanker, delikater Körper mit erfrischender Säurestruktur, angenehme Würze im Abgang, eine dezente Salznote begleitet. Ich fühle mich fast schon ein  wenig beschwipst, nein, beschwingt! Ich schließe die Augen für einen Moment, spüre nach, schmecke nach und lese dann die zweite Strophe: Am Gaumen kraftvolle Frucht, Würze, Rauchspeck, Nougat und Tabak. Elegant, cremig mit sehr langem Abgang.

Ich atmete tief ein und aus. Heute Abend, das nehm ich mir vor, betrete ich diese wundervolle Welt der Weine. Ich weiß auch schon, durch welche Pforte: Spannender Säure-Bogen mit langem und elegantem Finale. Wenn das kein Klappentext für einen Bestseller ist!

 

 

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Freudscher Verbrecher

Heute noch erinnere ich mich an meinen Lachkrampf von vor vielen Jahren, als ich einen echten Freudschen Versprecher hatte, wie ich glaubte: Freudscher Verbrecher! Aber angeblich stimmt das ja alles gar nicht. Freud konnte eben nicht ins Hirn leuchten, nur in die Seele ob in seine eigene oder in die seiner Patientinnen oder alles miteinander. Vorhin ist wieder so ein Verbrechen geschehen. Diesmal manuell. Ich wollte Selbstverleugnung tippen. Selbstverleichung wurde daraus. Oh wie wahr!

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Je dicker desto besser!

 

“Wie dick ist das?”, fragte ich früher, wenn mir jemand ein Buch empfahl – in der Hoffnung, es möge ein Brikett sein. Denn man will ja was davon haben, und so begeistert, wie mir vorgeschwärmt wurde, sollte die Freude schon eine Weile herhalten

 

Je dicker desto besser! Das war mal. Heute gil eher: Nur die Dünnen haben überhaupt eine Chance gelesen zu werden. Und wer es zu was bringen will, setzt auf Magersucht. Zwischen den Jahren, ich mag den Begriff, streune ich zwischen meinen Bücherregalen. Zwischen den Jahren ist die Zeit, in der ich das lesen möchte, was ich lesen will, nicht was ich muss, weil ich mich auf ein Thema vorbereite. Im Moment betrifft das die Themen Kanalisation, ich schreibe gerade mit einem Professor für Gastroenterologie, schwieriges Wort, ich vertippe mich noch immer gern, und mit einem Buddhisten. Könnte auch schwierig sein wegen dem H, klappte aber auf Anhieb. Doch nun bin ich aus der Kanalisation auf- und aus dem Himmel abgestiegen und streune zwischen den Jahren zwischen den Büchern und ertappe mich dabei, nur nach dünnen zu greifen.

Es sieht so aus als müsste ich mich der Wahrheit stellen: Heidi Klum war hier. Kein Wunder, dass ich sie nicht gesehen habe, bei der Figur. Ich entschuldige mich bei meinen Büchern und ziehe zur Wiedergutmachung ein Brikett aus dem Regal. Früher nannte man sie Schmöker. Ja, das gefällt mir. Klingt nach Schlemmen. Macht aber nicht dick. Also nur im Kopf und da sieht es keiner.

Was hast du zwischen den Jahren gemacht?

Geschmökert.

Ach, und was hat es gegeben? Bei uns wie immer Gans. Ich hab bestimmt zwei Kilo zugenommen.

Ich auch. Mein Hut passt schon nicht mehr. Ich genoss frisch gewerfelte Steinbecke auf einer hausgehoferten hessischen Plath an Hahn Lenz mit Auster. Zum Allende: Proust!

 

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Lesen in Zeiten der Corona

Was tun? Natürlich: lesen! Nämlich: endlich! Zeit für Bücher! Wer liest, ist nie einsam und findet Trost und Tipps, Täler zu durchschreiten. Die Leute in den Büchern sind uns vorausgegangen.

 

 

Doch so schnell wie downgelockt wurde, bin ich nicht runtergekommen. Ich habe zwar gelesen, aber Hochgeschwindigkeitsbücher. Die verkehrten alle auf der gleichen Schiene. Im Grunde genommen sind Krimis wie Märchen. Schön gemütlich, weil man weiß, was auf einen zukommt, und genau das wird jetzt so schmerzlich vermisst, wenngleich es immer eine Illusion war.

Mittlerweile, es wird über Lockerungen gesprochen, fühle ich mich endlich auch lockerer, so gelöst sogar, dass ich mich an die Literatur wage. Die benötigt Ruhe. Man kann sie nicht verschlingen, sonst verpasst man sie, Literatur will genossen werden. Und so habe ich vorhin einen Satz gefunden, den ich an diesem stürmischen Sonnentag voller Frühsommersirren gern teile. Er stammt von Gert Heidenreich aus der Erzählung “Die Gnade der späten Geburt”,  und er beschreibt ein “rasendes Wolkentheater”: … Riesenhände voll Wind in die Gassen warf, die restlichen, von der Schneelast befreiten Herbstblätter des Vorjahrs in die Hauswinkel jagte und dort zu kleinen Pirouetten aufdrehte, so daß der ganze Ort sich in eine heiter zerzauste Stimmung versetzt fand.”

Die wünsche ich uns …

 

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Die berühmten drei Wünsche

… War ich nicht super ausgebufft? Wenn die gute Fee zu mir kommen würde, hahaha, und mir drei Wünsche freistellen würde, würde ich mir würde, würde, würde, hätte und so weiter … unendlich viele Wünsche wünschen. Ja, das würde sogar klappen mit nur einem einzigen freien Wunsch, hoho! War ich vier oder sechs oder acht oder zehn, als ich diesen genialen Plan fasste? Bin ich zwanzig oder dreißig oder vierzig oder fünfzig und stelle fest, dass die Fee nie aufgekreuzt ist. Wahrscheinlich liegt es es daran, dass ich sie aufs Kreuz hätte legen wollen. Das mögen Feen nicht. Die haben’s nicht so mit Religion, eher mit Rehligionen. Weiterlesen

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Adam Riese

Meine Vorfahren schrieben mit Feder und Tinte, ich begann mit Kugelschreiber und dann mit einer Schreibmaschine. Erst Typen, dann Kugelkopf. Das war zu einer Zeit, als Latte M. modern Kaffee hieß, nicht Bohnenkaffee, wie ihn meine Oma nannte. Es fasziniert mich, wie alles, was einmal modern war, nostalgische Aroma entfaltet. Wie alles Neue alt wird, was man merkt, wenn man selbst nicht mehr ganz neu ist, was man wiederum nicht unbedingt selbst merkt. Weiterlesen

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Buchstaben bis zum Mond

Manchmal lese ich in der Zeitung irgendetwas würde bis zum Mond reichen. Plastikmüll zum Beispiel, wobei der sicher in vielen Runden um den Mond geschlungen werden könnte und dann trüge der Mond nicht nur einen Gürtel, er wäre futsch. Was wiederum für die Lyriker besonders schade wäre. Muse Mond ade, scheiden tut weh. Weiterlesen

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