Für Professor*innen habe ich schon öfter geschrieben. Dies hier ist meine erste Zusammenarbeit mit einem Leibnitz Preisträger. Habe wieder viel gelernt und unterwegs auch viel gelacht. Das Thema bietet sich ja an für Wortspiele!
So fängt es an:
Den Darm wünscht man sich so, wie früher Kinder sein sollten. Am besten man sieht und hört sie nicht. … Und riecht nichts, könnte man hinzufügen. Aber manchmal gibt es Darmalarm.
Denn obwohl dem Darm nun sogar Charme zugeschrieben wurde, salonfähig ist er noch nicht. Ganz tief drin möchten wir von dem, was irgendwo da unten in uns brodelt, am besten nichts hören und gerne auch nichts sehen. Also nicht, wenn wir erwachsen sind. Als Kinder hat uns das Kacka, Drucki, AA oder wie auch immer unsere Eltern es nannten, brennend interessiert. Es war schließlich das Einzige, über das wir Macht hatten, was wir eigenständig produzierten. So begann unser Leben mit Bäuerchen und Blähungen. Über erstere freuten sich unsere Eltern, letztere raubten ihnen den Schlaf. Und auf einmal sind wir erwachsen und keiner wartet auf unser Bäuerchen, und wenn es passiert, ist es uns peinlich. Dieses nicht salonfähige Oben und Unten, nein, damit wollen wir lieber nichts zu tun haben. Sollte der Darmalarm mal ruchbar werden, drehen wir uns gespielt empört um, auch wenn wir wissen, dass uns selbst dieses Malheur entfleucht ist. Doch es gehört nun mal zum Leben. Am besten täglich. Und dann schnell auf die Spülung gedrückt und weg damit. Eine gesunde Darmentleerung fühlt sich gut an. Man hat es auch gern, wenn die Mülltonne leer ist. Und macht es nicht auch schlank? Nein, macht es nicht – dies ist der erste Irrtum von vielen, die auf den folgenden Seiten korrigiert werden. Ich bin ein großer Fan vom Darm, denn er ist ein Wunderwerk. Und für mich als Mediziner nimmt er deutlich mehr Raum ein als den Bauch, er ist ein, wenn auch meterlanger Teil der Verdauung. Sehr häufig haben klassische Darmprobleme ihre Ursache an anderen Stellen der Verdauung: Leber, Bauchspeicheldrüse, Speiseröhre. All diese Schlüsselstellen werden Sie in diesem Buch kennenlernen und am Ende gewiss ein anderes Bild von Ihrem Darm haben, ja vielleicht sind Sie dann auch ein Fan!
Landläufig weiß man, dass er ziemlich lang ist, je nach Tonus und Füllungsstand 5 bis 6 Meter. Man weiß, dass es einen dicken und einen dünnen gibt und einen blinden, der zum Durchbruch neigt. Vor zu erwartenden Schussverletzungen bei Banküberfällen, habe ich einmal in einem Thriller gelesen, sollte man nüchtern bleiben, weil eine Operation im Bauchraum sonst Komplikationen nach sich ziehen könnte.
Viele meiner Patienten fühlen sich durch ihre Erkrankungen tatsächlich wie angeschossen, und oft ist es ihnen nicht möglich, ein „normales“ Leben zu führen. Ihr Darm scheint ein Eigenleben zu entwickeln, lässt sich nicht erziehen, sondern tut, was er will, und meistens dann, wenn er nicht soll. Zuweilen schießt er sogar, auch scharf. Für die meisten Menschen ist Krebs die schlimmste Krankheit, vor der sie sich bei Gedanken an den Darm fürchten. Doch es gibt noch viele andere, kleine und größere und harmlose, die dennoch mordmäßig Eindruck machen, das Leben stark beeinträchtigen. Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie Ihre eigenen Taktstörungen besser einschätzen können. Sind sie normal oder sollte man das mal abklären lassen?
In der Regel wissen Menschen wenig über die Funktionsweise des gesunden Darms. Verstopfung zum Beispiel ist gesund, auch wenn Pharmaunternehmen mit allerhand Produkten für die Beschleunigung werben. Während man morgens im Büro, ohne mit der Wimper zu zucken berichtet, dass man schlecht geschlafen hat, wird man den Kollegen wohl kaum erzählen, dass man die Kloschüssel schier gesprengt hat oder nach dem Stuhlgang noch mal duschen musste, weil es so anstrengend war. Solche Beichten höre ich meist auch nicht bei der ersten Konsultation. Meine Patienten müssen erst Vertrauen zu mir entwickeln, bis sie mit der Wahrheit herausrücken. Der Darm ist nun mal ein sensibles Thema. Er ist mit Material beschäftigt, das wir nicht besonders appetitlich finden, obwohl wir es ihm mit Appetit zugeführt haben. Das sollte man sich gelegentlich vergegenwärtigen. Wie das, was unten rauskommt, vor einigen Stunden oben aussah. Lecker nämlich. Das stimmt uns vielleicht ein wenig freundlicher. Denn leider sind wir dem Darm gegenüber eher oft ungehalten. Er soll seine Arbeit tun und basta. Wir wollen nicht näher mit ihm befasst sein, freuen uns aber, wenn er aktiv ist. „Wenn’s Arscherl brummt, ist‘ Herzerl gesund“. Und wenn nicht … dann leiden wir, denn der Darm hat feinste Verbindungen zu unserer Seele. An keinem anderen Ort im Körper merken wir so schnell, dass etwas nicht stimmt wie am Verdauungssystem. Die Kehle ist uns zugeschnürt, der Hals wird eng, im Magen drückt es, wir kriegen ein komisches Bauchgefühl. Das alles behalten wir oft für uns. Vor allem wenn es hinten rauskommt. Darin sind wir Menschen gleich. Ein Patient hat mir einmal von seinem Großvater erzählt, der ihm riet: Wenn du Angst vor jemand hast, stell ihn dir auf der Toilette vor.
Ja, der Darm macht uns auf eine ganz besondere Art zu Menschen. Und weil er zur Abfallwirtschaft gehört, wollen wir ihn, der im Untergrund arbeitet, am liebsten dort belassen.
In diesem Buch werden wir ein Licht in die dunklen Windungen des Darms werfen – und in die gesamte Verdauung. Wir steigen tief hinab in dieses lange und gefaltete Schlauchsystem, und ich verspreche Ihnen, dass Sie dort viele Wunder erleben werden. Sie werden erkennen, dass Sie ohne die fleißigen Helfer von der Müllabfuhr kein so schönes Leben führen könnten, wie Sie es hoffentlich tun. Dieser großartige Reinigungstruppe sorgt dafür, dass Sie gesund bleiben. Er kehrt den Rest vom Schützenfest zusammen, presst das Wasser ab und schiebt den kompakten Müll nach draußen, so dass uns nur noch die schönen Seiten bleiben, manchmal leider auf den Rippen. War es nicht ein gelungenes Fest?
Warum es manchmal unangenehm riecht, warum der Stuhl unterschiedliche Brauntöne hat, für das alles gibt es gute Gründe. Der Darm ist so wenig schmutzig wie ein Eimer, mit dem Sie den Boden gewischt haben. Es ist das Wasser, das den Schmutz aufgenommen hat, und das Sie am Ende wegkippen. Wie sauber und schön der Darm ist, sehen Sie bei einer Darmspiegelung. Manche Leute kneifen währenddessen die Augen zusammen. Doch das, was zu Ekel führt, ist gar nicht sichtbar, da spielt uns unsere Phantasie einen Streich. Für mich ist dieses ästhetische Gebilde ein Kunstwerk. Zartrot, sauber, mit einem Gefäßgeflecht verziert, liegt der Darm lebendig vor dem Auge des Betrachters … ist es nicht faszinierend, welche Reisen in das Innere des Körpers uns die endoskopische Technik gestattet? Mit ihrer Hilfe können wir kranken Menschen helfen und Gesunde vor Krankheit bewahren.
Darmprobleme gelten als Volkskrankheit Nummer eins. Die einen können nicht, die anderen zu oft, wieder andere produzieren nur heiße Luft. Die wird dann kurz vor den 20-Uhr-Nachrichten abgelassen, mit kitschigen Protagonisten, die für ein Darmpräparat werben. Ihre Beschwerden sind nach der Einnahme „wie weg“ also auf gut Deutsch: noch da, weil wie weg ist ja nicht weg. Ein Arzttermin wird vereinbart. Mein tägliches Brot sind Verstopfung, Durchfall, Bauchschmerzen und Blähungen, kurz: Darmalarm. Ein leichteres Los scheinen jene zu haben, die nur an Sodbrennen leiden, wobei das höllische Schmerzen bereiten kann.
„Gibt es eigentlich auch was Positives über den Darm zu sagen?“, fragte mich einmal ein Patient.
Da musste ich nicht lange überlegen „Schmetterlinge im Bauch.“
Aber die sind natürlich seltener als Blähungen. Wir essen mehrmals täglich, verlieben uns aber nicht laufend aufs Neue.
Man kann sich auch in die Wissenschaft verlieben, so ist es mir ergangen. Seit meinem Medizinstudium bin ich mit Leib und Seele auch in der Forschung tätig. Viele Jahre lang habe ich in Heidelberg als Ärztlicher Direktor in der Universitätsklinik die Abteilung für Gastroenterologie, Infektionskrankheiten und Vergiftungen geleitet. Heute bin ich in eigener Praxis und in der Forschung tätig. Zudem praktiziere ich als Notarzt und Schiffsarzt. Auf dem Weg zu meinen wissenschaftlichen Erkenntnissen habe ich manchmal sehr unkonventionell gedacht und war gelegentlich ein bisschen allein – doch die Forschungsergebnisse und vor allem: die vielen Patienten, denen ich helfen konnte, haben mich bestärkt, meine Ideen weiterzuverfolgen. Ein großer Ansporn war die Verleihung des Leibniz-Preises, der als deutscher Nobelpreis gilt und Wissenschaftler ehrt, die neue Wege gehen. Damals war ich erst achtunddreißig Jahre alt und hatte bei einem zweijährigen Forschungsaufenthalt an der Mount Sinai School of Medicine in New York herausgefunden, wie essentielle Bestandteile in die Zellen gelangen. Ich wäre sehr erstaunt gewesen, wenn man mir damals gesagt hätte, dass mir eine noch viel größere Entdeckung bevorstand, nämlich das Lecithin als Schlüssel zur Gesundheit …