Drücken Sie alle Tasten gleichzeitig


51fZ+QXKvSL._SL160_

Beim Schreiben dieses Buch habe ich nicht nur sehr viel gelernt, sondern auch sehr viel gelacht. Corinna Kammerer hat eine unnachahmliche Art, von Computern und ihren Angehörigen zu erzählen. Leider konnte sich der Verlag nicht mit unserem Wunschtitel anfreunden, der gelautet hätte: Die Computer-Nanny.

Nachfolgend zwei Textauszüge aus den ersten Seiten Drücken Sie alle Tasten gleichzeitig

Nichts geht mehr

„Da sind Sie ja endlich! Hier drehen alle schon durch!“

Mit diesem Satz werde ich häufig begrüßt. Manchmal schmeichelt er mir, manchmal empfinde ich ihn als Last. Es kommt auf den Tonfall an. Und der hängt wiederum davon ab, wie lange jemand an einer plötzlich über Nacht verschollenen Doktorarbeit saß, wie viele Rechner an einem amokenden Netzwerk hängen, wie dringend eine Mail erwartet wird. Wo Computer sind, gibt es auch Katastrophen … und natürlich die lieben Angehörigen der Computer. In Extremfällen offenbart sich der wahre Charakter eines Menschen. Ein Computerproblem ist immer ein Extremfall. Darunter leide nicht nur ich, sondern auch die Geräte. Hin und wieder begegnet mir eine Beule im Gehäuse. Andere kommen nach einem Wackelkontakt an der Steckdose mit einem blauen Auge davon. Wieder andere werden stets sehr liebevoll behandelt. Mit Kosenamen angesprochen. Mein Kleiner. Das Genie. Mein Bester. Mein ausgelagertes Gehirn. Diese Liebesbezeichnungen haben ihre Gültigkeit verloren, wenn ich erscheine. Denn vor mir ist immer der Fehler aufgetaucht. Fällt es bei Mitmenschen schon schwer, Fehler zu verzeihen, so geht das bei Computern gar nicht. Die müssen laufen. Sind doch schließlich Computer!

Ich bin die natürliche Folge eines Fehlers. Ich werde angerufen, wenn es brennt, was häufig bedeutet: Nichts geht mehr. Subjektiv betrachtet. Denn zwischen Er fährt nicht hoch und Nichts geht mehr besteht ein Unterschied wie zwischen Kratzer im Lack und Totalschaden.

Es heißt, Schönheit liege im Auge des Betrachters. Desaster ebenso. Nichts kann heißen, der Anschluss der Maus ist abgefallen. Nichts kann ebenso heißen, drei von vier Datenplatten sind ausgefallen, und der Server verweigert jeden Zugriff, bis er wieder vier Räder, also Platten hat, weil er das für sein Gewohnheitsrecht hält.

Als ich meine berufliche Selbständigkeit als Administratorin vor rund fünfzehn Jahren begann, erschrak ich bei solchen Anrufen bis ins Mark. Dann stellte sich heraus, dass sie meistens nur Geisterbahnen waren. Großer Schreck, nichts dahinter. Zum Beispiel: Der Bildschirm in der zentralen Verwaltungsstelle eines Unternehmens bleibt dunkel. Drama! Alle Telefone laufen heiß. Horrorszenarien werden genüsslich und/oder panisch diskutiert. Gerade heute! Wo wir dringendst auf die Daten warten! Was sollen wir jetzt bloß machen?

… Zum Beispiel den Helligkeitsregler, den der Putzmann am Abend zuvor beim Abstauben auf Null gewischt hat, zurückdrehen. Nichts geht mehr kann alles mögliche bedeuten. Nur in den seltensten Fällen heißt nichts geht mehr, dass nichts mehr geht. Es ist keine Aussage über Leben oder Tod, sondern die Mitteilung, dass eine bestimmte Person einen für sie nicht lokalisierbaren Fehler festgestellt hat. Da ich eine andere Person bin, stehen meine Chancen besser, den Fehler zu identifizieren. Es kann allerdings dauern. Manchmal Tage. Möglichkeiten gibt es unzählige. Das ist das Schreckliche an meinem Beruf. Und das Wunderbare. Ich liebe Herausforderungen! Natürlich male ich mir tunlichst nicht aus, was wäre, wenn wirklich nichts mehr ginge. Ich betrachte das als eine Art Zen-Übung. Tief durchatmen, und die Aussage zu dem Menschen zurückgeben, von dem sie stammt. Für den beim Support um Unterstützung bittenden Kunden geht subjektiv nichts mehr. Was das objektiv heißt, muss erst ermittelt werden.

Meine Ermittlungen können schnell von Erfolg gekrönt sein oder ins Dickicht führen. Manche Täter verwischen ihre Spuren gründlich, sodass die Rückverfolgung zur Ursache äußerst aufwändig ist. Manchmal findet sich eine Leiche im Netz. Hin und wieder läuft eine Anwendung Amok. Zum Beispiel, indem sie ständig Protokoll darüber führt, was sie tut. Das hält der stärkste Rechner nicht aus. Sein Rechenhirn läuft über. Das Genie gibt den Geist auf. Und heißt dann nicht mehr mein bestes Stück.

Sondern Er.

Er will nicht mehr.

Er spinnt.

Ich habe keine Ahnung, was der da macht …

 

Die Poesie der Fehlermeldungen

Ich liebe die Poesie mancher Fehlermeldungen, die sämtliche grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz spiegeln, zum Beispiel: Wer bin ich?

Ich kann das Dokument nicht lesen, meldet ein PC.

„Wer ist ich?”, fragte mich die Anwenderin.

„Er”, sagte ich.

„Hat er ein ich?”, fragte sie.

„Er glaubt es”, stellte ich fest.

„Typisch Mann”, sagte sie.

Alle Dateien nicht löschen, Ja oder Nein?

Gehört zu meinen Lieblingsmeldungen. Je länger man darüber nachdenkt, desto tiefer erschließt sich die Komplexität des Daseins.

Für Fatalisten maßgeschneidert: Bitte bestätigen Sie den Verlust Ihrer Daten.

Schwerer Fehler. Verbindung erneut herstellen? Ja / Nein

Eine Frage, die man sich nicht nur in Beziehungskrisen stellen sollte. Aber wer stellt sie sich schon? Manche Paare bleiben jahrelang zusammen, ohne sich diesen schweren Fehler einzugestehen.

Wen ein System immer langsamer wird, kann man sich auf folgende Meldung freuen: Sie haben die Maus bewegt. Sollen die Änderungen übernommen werden?

Die Informationsverarbeitung ist auf oberster Ebene fehlgeschlagen.

Was für ein erhebender Trost!

Ob Mensch und Maschine überhaupt in der Lage sind, Fehler gleichartig zu bewerten? Es könnte durchaus sein, dass der Computer etwas für einen Fehler hält, was dem Menschen willkommen ist: Beim Speichern der Änderung ist der folgende Fehler aufgetreten: Der Vorgang wurde ausgeführt.

In der Linux-Szene tragen viele User ein T-Shirt, auf dem zu lesen steht Alt + F4 – das ist die Tastenkombination, mit der man Windows herunterfährt

Es kann keine weitere Systemsemaphore erstellt werden. Diese Meldung lässt sich nur mit Okay bestätigen. Aber das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Wir bejahen ständig Dinge, von denen wir keine Ahnung haben.

Der Arbeitsspeicher reicht nicht aus. Es werden 1,2 MB benötigt. Es sind aber nur 1,3 MB vorhanden.

Etwas mehr Rechenleistung würde ich mir von einem Rechner schon wünschen.

Für das Thema Hilfe ist keine Hilfe verfügbar. Bestätigungsmöglichkeit mit Okay oder Hilfe.

Bitte geben Sie einen Wert zwischen 0,00 und 0,00 ein.

Interessantes mathematisches Problem!

Unbekannter Fehler 128 bei 57.

 

Teile diesen Beitrag

3 Gedanken zu „Drücken Sie alle Tasten gleichzeitig

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert