Partner auf Leben und Tod

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Vier Diensthunde haben den Polizisten und Hundeführer Elmar Heer in seinem Polizeialltag begleitet. Er erzählte mir die spannendsten  Geschichten, die er mit seinen vierbeinigen Ermittlerkollegen erlebte, die in so manchem Fall ihr Fell für ihn riskierten.

Nachfolgend Textauszüge aus Partner auf Leben und Tod

Nebenjobs eines Hundeführers

Wer sich mit Hunden auskennt, weiß auch mit anderen Tieren umzugehen. Dieser Meinung sind die meisten Funksprecher der Einsatzzentrale und beordern uns Hundeführer zu Einsätzen, bei denen Pfoten keine Rolle spielen. Wie in diesem Spätdienst: „Ein großer Hund läuft auf dem Seitenstreifen der A 73, Höhe Anschlussstelle Fürth-Poppenreuth.“ Gefährlich nicht nur für den Hund, sondern auch für die anderen Verkehrsteilnehmer. Immer wieder kommt es zu Unfällen durch Ausweichmanöver oder fürsorgliche Autofahrer, die anhalten und ein Tier retten wollen.

Circa 800 Meter vor der genannten Ausfahrt geriet ich in einen Stau. Das bedeutete nichts Gutes. War schon ein Unfall passiert? Lag der Hund tot auf der Fahrbahn? Meine Kehle wurde eng. So sehr ich den Tod von Tieren auf unseren Straßen überhaupt bedauerte, der von Hunden ging mir immer besonders nah. Als Fünfjähriger musste ich einmal mit ansehen, wie ein Cocker Spaniel überfahren wurde. Er überquerte die Fahrbahn, weil er mich begrüßen wollte. Noch heute fühle ich mich unwohl, wenn sich einem frei laufenden Hund ein Auto nähert.

Zum Glück war die erlaubte Geschwindigkeit hier auf achtzig Stundenkilometer beschränkt. Die Fahrzeuge schlossen geordnet auf und zuckelten mit Schrittgeschwindigkeit weiter. Ich zog auf die Standspur, schaltete zum Blaulicht auch das Horn ein und fuhr an der Blechschlange entlang. Schon bald erreichte ich die Spitze der Kolonne und staunte: Zwei Sattelschlepper rollten mit eingeschalteter Warnblinkanlage nebeneinander her – Begleitfahrzeuge des in ihrem Scheinwerferlicht trabenden Vierbeiners. Irgendetwas dunkel Langhaariges. Gespenstisch. Und auch seltsam ergreifend, der Hund im Lichtkegel, in seinem gleichmäßigen Trab. Ab und zu wechselte er die Fahrspur, ich konnte nicht erkennen, warum, meistens lief er an der gestrichelten Mittellinie entlang.

Längst hatte ich den Lärm auf meinem Autodach abgeschaltet. Ich wollte das Tier nicht erschrecken. Zum Glück kümmerte es sich nicht um das neue, dritte Begleitfahrzeug, trabte unbeirrt weiter. Vorsichtig überholte ich die Lastwagen und den Hund, beschleunigte langsam. Nachdem ich etwas Vorsprung herausgefahren hatte, hielt ich an und stieg aus.

Ein unwirkliches Szenario: vier Scheinwerfer, die sich auf mich zu bewegten, und ein Hund, der durch das Licht einen überdimensionalen Schatten warf. Der Bursche war nur noch dreißig Meter entfernt, als er mich bemerkte. Er wechselte auf die Überholspur. Ich auch. Noch zwanzig Meter. Jetzt lief er auf die Standspur. Ich ebenso. Noch zehn Meter. Ich breitete die Arme aus, sprach ihn ruhig an. „Halloooo, Groooßer, wo willst du denn hin?“ Fünf Meter. Er blieb stehen. Hoffentlich legte er jetzt nicht den Rückwärtsgang ein!

Auch die Lkws hielten an. Wie gutmütige Elefanten stärkten sie dem Hund den Rücken. Ich versuchte den Flüchtling einzuschätzen. Ein Mischling, vielleicht fünfzig Zentimeter hoch, also gar nicht so riesig, wie er gewirkt hatte. Schlappohren. Der rotgelben Zeichnung im Gesicht nach zu urteilen, könnte einer seiner weit entfernten Vorfahren ein Berner Sennenhund gewesen sein. Tendenziell also eher friedfertig. Hoffentlich! Ich kramte ein paar Brocken Trockenfutter aus der Tasche meiner Lederjacke und ging in die Hocke. Lockend hielt ich dem Hund meine Hand entgegen. Er hechelte schnell, war offensichtlich erschöpft. Vorsichtig kam er auf mich zu. Ich wollte gerade aufatmen, als er Vollgas gab. Mit fliegenden Ohren versuchte er, an mir vorbei zu sprinten. Ich dachte nicht nach. Sprang einfach los. Auf den Hund. Eher ein Reflex, als eine überlegte Handlung. Ihn beschützen, sicherstellen bevor er auf die Gegenfahrbahn rannte. So lagen wir auf dem Asphalt. Er und ich. Er zappelte wie wild. Ich hielt ihn mit aller Kraft fest, hatte ihn gut erwischt, beißen konnte er mich nicht. „Ruhig“, sagte ich zu ihm, „ruuuhig, dir passiert nichts.“ Da gab er auf. … Was für ein Anblick: Ein Polizist in Uniform schmust auf der Überholspur mit einem Hund.

Leiser Applaus ertönte aus der Schwärze hinter dem blendenden Fernlicht der Lastwagen. Die Fahrer waren ausgestiegen und standen im dampfenden Lichtnebel. Zwei korpulente Kerle mit karierten Hemden, klatschten sie ob meiner artistischen Einlage; nicht laut, sondern leise, verhalten. Sie wollten den Hund nicht erschrecken. Der machte nun einen recht „gefassten“ Eindruck. Ich lockerte die Umarmung und leinte meinen Fang an seinem schwarzen Lederhalsband an. Keine Hundemarke, keine Adresse. Schade. Vielleicht war ja gechipt? Ein solcher Chip, ein reiskorngroßer Datenträger, mit einer Spritze unter dem Fell platziert, enthält eine Individualnummer, mit der jeder Hund und damit sein Besitzer identifiziert werden kann. Ein unsichtbares Nummernschild sozusagen, das bei jedem Tierarzt oder -heim mit einem dafür bestimmten Gerät ausgelesen werden kann.

Resigniert, aber vielleicht auch ein bisschen erleichtert, folgte mir der Hund zu meinem VW-Bus und sprang ohne zu zögern in die freie Box. Autofahren war er anscheinend gewöhnt. Buxi tobte natürlich. Er teilte sein Taxi nicht gern. Aber typisch Buxi beruhigte er sich schnell wieder. Saßen fremde Menschen oder Hunde erst einmal im Fahrzeug, fand er sich damit ab. Das kannte er – gelegentlich teilten wir uns ein Auto mit einem Kollegen und dessen Hund, wenn wir zum Beispiel zur Ausbildung fuhren oder zu gemeinsamen Einsätzen. Ich bedankte mich bei den Truckern, die dem Hund mit ihrer Umsicht das Leben gerettet und darüber hinaus vielleicht auch noch die Gefährdung von Menschen verhindert hatten.

Kurz nach Dienstschluss parkte ich vor dem Nürnberger Tierheim. Um diese Zeit war kein Mitarbeiter mehr anwesend. Die Polizei hat einen Schlüssel für einen speziellen Raum, beheizt, mit Futter und Wasser ausgestattet. Auch hier ging nichts ohne Formulare: Tiere sind im juristischen Sinne Sachen, gefundene Sachen –Fundsachen. Also musste ich eine Fundanzeige ausfüllen, Betreff: „Fundhund“. Ich hatte höchstens drei Wörter geschrieben, da klopfte es an die Scheibe.

„Ja?“, ich drehte mich um.

Eine Frau mittleren Alters in höchst aufgelöstem Zustand fragte mit einem Blick auf meine Uniform „Ist denn vom Tierheim niemand mehr da?“

„Um diese Zeit nur in Notfällen“, antwortete ich. „Aber vielleicht kann ich Ihnen helfen?“

Sie schluchzte laut auf. „Ich habe meinen Blacky …“

Lautes Heulen aus dem Heck meines Busses unterbrach sie. Sie hielt für einen Moment den Atem an, lief dann um meinen Wagen, riss die Beifahrertür auf und zuckte zurück, als Bux seinen Alarm einschaltete. Im Duo bellheulte es gänsehauterregend aus dem Heck.

„Das ist Blacky! Sie haben den Blacky!“ Die Frau brach in Tränen aus. „Geht es ihm gut? Was hat er denn? Hat er was? Wo haben Sie ihn gefunden? Ist er verletzt?“

So viele Fragen konnte ich nicht auf einmal beantworten. Ich arbeitete sie ab, eine nach der anderen. Jede neue gute Nachricht quittierte die Frau mit einem lauten Aufschrei, in der Tonlage ähnlich ihres Hundes. Die zwei gehörten zusammen, keine Frage. Endlich öffnete ich die Hundebox, und wir feierten Familienzusammenführung. Blacky sprang seinem Frauchen geradezu in die Arme. Ich musste sie stützen, damit sie das Gleichgewicht nicht verlor. Vor Erleichterung immer wieder laut aufschluchzend, erzählte mir die Frau, dass sie Blacky an der Autobahntankstelle verloren hatte. Er sei in der angrenzenden Wiese einem Kaninchen nachjagt und nicht mehr zurückgekommen. Nachdem sie zwei Stunden auf ihn gewartet habe, sei sie schließlich hierher gefahren, um den Racker als vermisst zu melden. „Und ich hab’ solche Angst gehabt, solche schreckliche Angst, immer die Bilder, dass er platt gefahren ist … oder schwer verletzt und in der Fremde herumirrt … Ach ich bin ja so froh, so froh!“

„Sie hätten keine zwei Stunden allein warten müssen. In einem solchen Fall können Sie auch die Polizei informieren.“

„Einen solchen Fall wird es nie wieder geben!“, erklärte die Frau resolut. „Der kommt mir nie mehr von der Leine, wenn ich unterwegs anhalte! Und ich wusste ja nicht, dass die Polizei für so was auch zuständig ist.“

Doch, das sind wir. Und nicht nur dafür.

Verwaist

Einer unserer häufigsten Nebenjobs ist es, sowohl Kollegen als auch Sanitätern und Notärzten Hunde vom Hals zu halten, damit sie ihre Arbeit machen können. Gerade, wenn sich Herrchen oder Frauchen in einer hilflosen Lage befinden, gebärden sich manche sonst harmlose Hunde, als würden sie jeden in Stücke reißen, der sich zu weit vorwagt.

Wie jener Mittelschnauzer, der mir wütend bellend und Zähne fletschend klar machte: Bis hierhin und nicht weiter! Dass er die Grenze nicht selbst festgelegt hatte, war dem Umstand geschuldet, dass er über eine Leine fest mit dem Handgelenk seines Besitzers verbunden war. Der konnte ihn jedoch nicht bändigen: Er lag am Rande eines Feldweges bäuchlings neben seinem Fahrrad und rührte sich nicht. Ein Jogger hatte ihn entdeckt und den Rettungsdienst alarmiert.

„Wir sind seit zehn Minuten da, kommen aber nicht ran an den Patienten“, erklärte mir die Notärztin. „Meinen Kollegen“, sie deutete auf einen der beiden Sanitäter, die unsicher hinter ihr standen, „hat er beinahe gebissen.“

Ich rannte zum Streifenwagen und holte die Fangstange. So schnell wie möglich musste dem Patienten geholfen werden. Ruhigen Schrittes kehrte ich zurück, öffnete die Schlinge weit und näherte mich dem Hund von hinten, der so tapfer sein Herrchen verteidigte und ihn damit womöglich in Lebensgefahr brachte. Das Herrchen war nicht ansprechbar, offensichtlich ohnmächtig. Es konnte um Minuten, Sekunden gehen. Beherzt trat ich einen Schritt nach vorne. Weiter kam ich nicht. Der Hund warf sich herum und preschte auf mich zu. Dabei zog er den schlaffen Arm des Mannes mit sich. Ein Ruck ging durch dessen Körper, als die Leine den Schnauzer abrupt abbremste. Mir lief ein Schauer über den Rücken.

Qualvolle Minuten vergingen, in denen ich versuchte, dem Hund die Schlinge über den Kopf zu ziehen. Qualvolle Minuten, in denen der Mann am Boden wie eine knochenlose Stoffpuppe zuckte, wenn der Hund an der Leine mal in diese, mal in jene Richtung zog. Er lag nicht mehr gerade, sondern schräg, ein kräftiger Ruck hatte seinen Arm so weit nach links gezerrt, dass er in der Taille stark eingeknickt war. Aber er wachte nicht auf, wachte einfach nicht auf. Kein gutes Zeichen.

Schließlich wusste ich mir keinen anderen Rat mehr. Ich brüllte das Tier an: „Schluss jetzt! Platz!!“

Urplötzlich war es still. Im ersten Moment war diese Stille lauter als der Lärm zuvor. Der Hund hatte tatsächlich aufgehört zu bellen. Das Kommando Platz kannte er. Er schien jedoch unentschlossen, ob er ihm aus dem Mund eines Fremden Folge leisten sollte. Abwartend schaute er mich an, hechelte hektisch. Speichel tropfte von seinen Lefzen und zog lange Fäden.

Noch einmal befahl ich ihm scharf: „Platz!“ Tatsächlich: Er legte sich hin. Ich war perplex, was ich ihm allerdings nicht zeigte. Widerstandslos ließ sich der Bursche nun festnehmen, sprich mit der Fangstange fixieren. Das Rettungsteam lief an uns vorbei und drehte den Mann auf die Seite.

„Exitus“, stellte die Notärztin fest, ließ den Mann zurück in seine Ausgangsposition rollen und schaute mich an. „Erste Leichenflecken sind schon da. Beginnende Leichenstarre.“ So genau wollte ich es gar nicht wissen und war doch erleichtert, sehr sogar, als die Notärztin hinzufügte „Ich schätze, er ist schon seit deutlich mehr als einer Stunde tot. Wir hätten ihm also auch ohne die Abwehr des wilden Hundes nicht helfen können.“

„Natürlicher Tod?“, fragte ich.

„Ich gehe von einem Herzinfarkt aus“, antwortete die Medizinerin und hielt eine Tablettenschachtel hoch. „Die ist ihm aus der Jackentasche gefallen. Ein ACE-Hemmer.“ Sie sah mir an, dass ich nicht wusste, was das ist. „Ein Medikament gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, ergänzte sie. „Aber Genaueres kann man erst nach der Leichenschau sagen.“

Der Hund wurde ungeduldig und versuchte aufzustehen. Ich konnte ihn noch nicht loslassen, denn er missbilligte es deutlich, dass sich drei fremde Menschen an seinem Herrchen zu schaffen machten. Als ich ihm gut zuredete, entspannte er sich.

Eine Streife der zuständigen Inspektion fuhr langsam den Feldweg entlang. Zwei Kollegen stiegen aus, grüßten mich und blieben dann unschlüssig mit einigem Abstand zu mir und vor allem zu dem Hund stehen. Dann überwand einer der beiden seine Scheu und näherte sich. Leise, fast flüsternd erzählte er mir, dass der Jogger den Mann gekannt und ihnen mitgeteilt habe, wo er wohne. „Wir waren dort“, erklärte er mir, „er lebt mit seinem erwachsenen Sohn zusammen, nicht weit von hier. Aber es war niemand zu Hause. Eine Nachbarin erzählte, dass der Vater erst vor kurzem im Krankenhaus gewesen sei. Wegen eines Herzinfarktes.“

Ich nickte. „Sag das bitte auch der Notärztin. Sie hat so etwas schon vermutet.“

„Mach ich.“

„Und“, fügte ich hinzu, „kümmere dich bitte darum, dass jemand die Leine von seiner Hand abmacht.“ Noch immer waren Hund und Herrchen über die fast drei Meter lange Leine miteinander verbunden. Sie am Halsband des Hundes auszuklinken, hatte ich bisher nicht gewagt. Die Gefahr war groß, dass er mich doch noch biss. Einer der beiden Sanitäter hatte mitgehört und entfernte die Leine mit schnellen Bewegungen von dem Toten. Der Hund reagierte nicht. Nach einer Weile löste ich auch die Schlinge der Fangstange und hielt den Hund nur noch an seiner Leine fest. Neben dem verwaisten Tier stehend schaute ich zu, wie sein Besitzer in einen grauen Kunststoffsarg gehoben und in den Kombi verladen wurde.

Der Kollege kam noch einmal zu mir: „Übrigens, der Hund heißt angeblich Pauli.“

So hieß er wohl tatsächlich, denn er „spitzte“ die grau melierten Schlappohren, als er seinen Namen hörte.

Zehn Minuten später traf der Abholservice des Tierschutzvereines ein. So traurig das im Moment alles war, was Pauli betraf, empfand ich Zuversicht. Er würde bestimmt bald vom Sohn des Toten nach Hause gebracht werden.

Ein vererbter Hund ist für Hinterbliebene oft ein Trost, der die Erinnerung an den Verstorbenen wach hält. Für manche aber auch eine Last. Wohin mit dem einstmals geliebten Tier, wenn keiner Zeit hat, sich um es zu kümmern? Mancher Hund bleibt deshalb für immer im Tierheim. Ich hoffte sehr, dass Pauli dieses Schicksal erspart bliebe.

Wieder in der Dienststelle sah ich, dass mein Einsatz von der Zentrale im Computer unter dem Stichwort „Hilflose Person“ kategorisiert worden war. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht bekannt gewesen, dass der Radfahrer bereits tot war.

Menschen aus Notsituationen zu helfen ist für mich eine der edelsten Aufgaben der Polizei. Es ist ein sehr schönes Gefühl, der Retter in der Not sein zu dürfen. Beispielsweise für jemanden, der in seiner Wohnung gestürzt ist, nicht mehr aufstehen kann und durch Klopfen oder Rufen auf sich aufmerksam macht. In einer großen Stadt wie Nürnberg ist so etwas keine Seltenheit. Manchmal ist es ein tagelang nicht geleerter Briefkasten, der Nachbarn veranlasst, die Polizei zu rufen. Oder ein „merkwürdiger“ Geruch, der aus einer Wohnung dringt, wie im nächsten Fall …

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