Mitgift

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Vor rund zwanzig Jahren erschien mein erster Roman. Seine Vorgänger haben es nicht aus der Schublade rausgeschafft. Ich lüfte aber gelegentlich! Und wer weiß, vielleicht entkommt ja mal ein Text – wenn er ins Internet springt, surft er in die weite Welt hinein

Nachfolgend ein Textauszug aus Mitgift

Strom übt eine magische Anziehung auf die Oma aus und gehört ihrer Ansicht nach zu den Weltwundern. Die Oma war ein Mädchen, als ihr Heimatdorf an das Stromnetz angeschlossen wurde. Niemals wird sie den Augenblick vergessen, in dem es mitten in der Nacht taghell wurde in der Stube. Damals nahm sie sich vor, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Obwohl ihr im Laufe der Jahre oft erklärt wurde, es gäbe kein Geheimnis, spürt sie einen spannenden Kitzel, wenn sie sich mit Elektrizität beschäftigt. Insgeheim ist sie davon überzeugt, den Strom beschwören zu müssen und ihn sich gut gesonnen zu erhalten, indem sie ihm größtmögliche Aufmerksamkeit widmet.

Die Oma sagt nicht Strom, sondern respektvoll: der elektrische Strom. Auch zur Straßenbahn sagt sie: die Elektrische. Omas Hobby sind Kurzschlüsse. Lampen schließt sie besonders gerne an. Immer erwischt sie die falschen Drähte. Dann knallt es gewaltig. Dass die Oma vorher keine Sicherung herausschraubt, versteht sich von selbst. Sie ist keine Anfängerin, schneidet bei zu reparierenden Steckern die Isolation, die sie für Tand hält, bis auf die Drähte ab und wundert sich, wenn es knallt. Die Parterrewohnung bietet ihr ein großartiges Betätigungsfeld. Die Leitungen sind schlecht verlegt und aus Aluminium, da man Kupfer im Krieg für die Rüstung brauchte. Sie muss gar nicht nachhelfen, ganz von selbst gibt es hier und da eine kleine Schmorung. Flink kraxelt die Oma auf die Leiter und bastelt in drei Meter Höhe. Ist einmal nichts Elektrisches zu reparieren, erforscht sie die Mechanik, zerlegt hingebungsvoll Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Meistens bleiben beim Zusammenbauen ein paar Teile übrig. Der Wecker klingelt trotzdem noch. Triumphierend zeigt sie ihrem Schwiegersohn die Schräubchen, Muttern und Federn, für die sie beim Zusammenbauen keine Verwendung hatte: Alles überflüssig!

Johann ist anderer Meinung. Weist er die Oma darauf hin, daß der Wecker nicht klingelt, sondern gequält scheppert, ruft die Oma: Woher willst du wissen, wie mein Wecker klingelt! Oder sie behauptet, nach ihrer Reparatur aufgetretenen Fehlern läge ein Verschleiß zugrunde, der auch ohne ihr Eingreifen aufgetaucht wäre. Dabei blinzelt sie heftig. Johann weiß nie, ob aus Empörung über seine Andeutung, sie könnte einen Fehler gemacht haben, oder aus Schelmerei. Der Opa hat sich an Omas Hobby gewöhnt. Gibt es einen Kurzschluss, verdreht er die Augen und seufzt: Ach Frau.

Ist die Oma mit ihrem Latein am Ende ­–– was selten vorkommt, da sie Wissen durch Fantasie ersetzt – macht sie sich auf den Weg zur Telefonzelle und versucht, den Schwiegersohn zu erreichen. Sie hat es so eilig, daß sie selbst bei Schneegestöber ohne Mantel aus dem Haus rennt und den Zettel mit der Telefonnummer des Schwiegersohns vergisst, was unerheblich ist, da sie ihre Brille verlegt hat. In der Zelle rekonstruiert sie die Telefonnummer. Das gelingt nicht auf Anhieb. Im Lauf der Zeit hat sie es zu einigen Telefonbekanntschaften gebracht, die sie gewissenhaft pflegt, da sie sich meistens auf die gleiche Art verwählt.

Schon wieder ich. – Meinen Schwiegersohn wollt’ ich eigentlich. – Ja, wie immer. Zuerst die Frau mit dem kranken Mann und dann die mit dem kranken Hund. – Beiden geht’s gut. – Nein, nicht der Fernseher, der neue Fön. – Und was macht Ihr Rheuma. – Ja, bei diesem Wetter. – Also dann, vielleicht hören wir uns mal wieder, heut hab ich’s eilig, ich muss dem Föhn Beine machen.

Erreicht die Oma den Schwiegersohn endlich, verbietet sie ihm nachdrücklich, selbst nach dem Rechten zu sehen. Sie möchte lediglich eine Anregung, wie sie das Problem ohne fremde Hilfe lösen kann. Ist der Schwiegersohn nicht in der Lage, den Fehler durchs Telefon zu orten, fühlt sich die Oma in ihrer Annahme bestätigt, es bedürfe anderer Fähigkeiten als jener, über die ein Elektriker verfügt, um dem elektrischen Strom gerecht zu werden. Ich verstehe, sagt sie gefasst und beendet das Telefonat abrupt. Will der Schwiegersohn irgendwann wissen, wie es der Oma gelungen ist, einen Defekt zu beseitigen oder wundert er sich, weil das defekte Gerät nicht mehr zum Hausstand der Oma gehört, verschränkt sie die Arme vor der Brust, mustert ihn von oben bis unten und sagt bedächtig: Das läßt dir jetzt keine Ruhe, gell.

Hin und wieder gibt die Oma dem Schwiegersohn auch einen Rat. Schaltet der Schwiegersohn das Radio an, um eine Fußballübertragung zu hören, und schweigt das Radio, obwohl es ein entscheidendes Spiel ist, will er sogleich den Kasten aufschrauben. Das brauchst du nicht, sagt die Oma, schlägt zweimal auf die linke, einmal auf die rechte Seite des Apparates und ruft: Kruzifix!

Sogleich erklingt die heiser geschriene Stimme des Fußballreporters.

Du schlägst ja das Radio kaputt, sagt der Schwiegersohn. Einmal reicht doch!

Da kennst du mein Radio nicht!

Das lässt der Schwiegersohn nicht auf sich sitzen. Er schaltet den Apparat ab, schaltet ihn wieder an – Stille. Er schlägt einmal auf den Kasten – Stille. Er schlägt zweimal auf den Kasten – Stille. Wie machst du das, fragt er gereizt, denn es ist ein wichtiges Spiel.

Die Oma ruft: Kruzifix! und schlägt zu. Da ist die Stimme wieder.

Verklemmte Schubladen, quietschende Türen, Fahrräder – mit vielen Dingen steht die Oma in eifrigem Monolog. Manche Gegenstände haben andere Namen als üblich. Ein Stuhl heißt: Knarzer, ihr Fahrrad: Hengst, der Tisch: Tischtuchbrett. Ferner stehen ihr eine Reihe von Schutzheiligen zur Verfügung, die sie um Unterstützung bittet. Dabei ist es von außerordentlicher Wichtigkeit, sich mit einer Bitte an den richtigen Schutzheiligen zu wenden. Schließlich möchte die Oma auch nicht die Arbeit für andere tun. Laura lernt eine Vielzahl unsichtbarer Gestalten kennen. Den heiligen Florian, den heiligen Antonius, den heiligen Andreas, den heiligen Georg und auch den heiligen Christoporus, der nicht nur für die Autofahrer zuständig ist, sondern auch als Schutzpatron bei gefährlichen Unternehmungen gilt. Ihn ruft die Oma vor heiklen Reparaturen an.

Lass den heiligen Christoporus in Ruhe, bittet der Schwiegersohn vergeblich, schraub lieber die Hauptsicherung heraus.

Wenn weder ein Gegenstand zu besprechen, noch ein Schutzheiliger anzurufen ist, führt die Oma Selbstgespräche. In hitzigen Reden erörtert sie die Vor- und Nachteile wichtiger Fragen. Ob es dabei um die Reihenfolge der zu putzenden Fenster, oder die Tauglichkeit des neuen Pfarrers im Gegensatz zum alten Pfarrer geht, ist dabei ohne Belang. Laura hat sich an das ständige Gemurmel der Oma nicht nur gewöhnt, sondern es auch für sich entdeckt. Gelegentlich reden Laura und Oma einträchtig vor sich hin.

Mit wem soll ich den ganzen Tag reden, wenn mein Mann immer schläft, sagt die Oma zu jenen, die ihr vorhalten, nur geistig Verwirrte sprächen zu sich selbst. Wenn die Leute zuerst mit sich selber reden würden, gäbe es viel weniger Geplappere auf der Welt, weiß die Oma. Für eine Art von Geplappere ist sie selbst anfällig: Klatsch. Die Königshäuser lassen sie dabei kalt. Interessant ist lediglich der Klatsch über ihr persönlich bekannte Personen. Da nimmt sie sich gar nicht aus. Sie erwartet nichts anderes, als daß man sich auch über sie gewaltig das Maul zerreißt. Hin und wieder bringt sie geschickt Gerüchte über sich in Umlauf und treibt verwickelte Spiele, indem sie angeblich nichtsahnend den eigenen Klatsch bestätigt. Dabei leistet Laura ihr gute Dienste. Wenn wir der Frau mit den blauen Locken begegnen, sagt die Oma zu Laura, sagst du: Oma, ich hab ganz vergessen, einen schönen Gruß vom Herrn Oberländer.

Bringt Laura etwas durcheinander, richtet sie den Gruß vor der falschen Frau aus oder verwechselt sie Herrn Oberländer mit Herrn Oberhuber, ist das nicht weiter schlimm. Dann führt die Oma nur sehr lange Selbstgespräche, weil sie das Gerücht neu einfädeln muss.

Will die Oma schnell Einkaufen gehen, kann das Stunden dauern, da sie jede Person – ob jung oder alt – in ihrem Viertel kennt und diejenigen, die sie nicht kennt, unverzüglich kennenlernen muss. Mit ihren Gesprächspartnern bleibt sie an windigen Ecken stehen, geht drei Schritte vor, drei zurück, geht endlich weiter und trifft schon wieder jemanden und tut drei Schritte vor und zurück. Jede Neuigkeit muss stehenden Fußes weitergegeben werden, sonst wird sie sauer. Selbstverständlich nimmt die Oma an Neuigkeiten gewisse Korrekturen vor.

Oma, die Frau hat doch gesagt, zwei Meter. Warum sagst du drei Meter?

Zwei Meter von einer Leiter fallen, was ist das schon! Drei Meter sind gerade recht, was sag’ ich denn, vier! Vier Meter!

Warum nicht zwanzig Meter?

Das wäre zu hoch.

Warum?

Das lernst du schon noch, Laura. Die Kunst dabei ist, so zu übertreiben, daß es noch möglich sein könnte.

Warum?

Damit wir einen Spaß haben. Außerdem werden es von selbst zwanzig Meter. Wir sagen vier Meter. Beim nächsten sind es schon fünf Meter. Und so geht es immer weiter. Wenn wir am Ende hören, sie ist zwanzig Meter von der Leiter gefallen, sagen wir: So ein Schmarrn. Das glauben Sie doch selber nicht!

Warum?

Weil es keine zwanzig Meter hohe Leiter gibt. Oder meinst du, die hat eine Feuerwehrleiter in der Küche? Um die aufstellen zu können, müßte sie Löcher in die Decken aller Wohnungen über sich bohren. Die Leute übertreiben, ohne zu denken. Wir denken. Deshalb haben wir unseren Spaß.

Oma, ich habe einen, ich habe fünf Pickel am Popo!

Die Oma lacht und erzählt es bei der erstbesten Gelegenheit weiter. Einen ganz schlimmen Ausschlag hat die Laura am Rücken.

In einer Stunde hast du Masern, Windpocken, Röteln und Mumps, flüstert die Oma Laura zu. Und ich wette, die Frau Feigl traut sich nicht mehr aus dem Haus. Wenn die im Fernsehen jemanden niesen sieht, desinfiziert sie ihre Wohnung. Vor ein paar Jahren grassierte eine schwere Grippe. Asiatisch hat die geheißen – als ob Katarrh nicht genügen würde. Das ganze Haus war krank. Sogar ich. Wo es mich doch sonst nie erwischt, weil ich jeden Morgen kaltes Wasser in die Nase schnupfe. Nur die Frau Feigl ist drumrum gekommen. Das waren die schwärzesten Wochen ihres Lebens. Heute Abend klingelst du bei ihr und fragst um ein Ei.

Wir haben doch Eier gekauft.

Das macht nichts. Ich möcht’ nur wissen, was sie tut, wenn sie dich sieht.

Frau Feigl schlägt schreiend die Tür zu, als sie Laura erblickt. Die Oma rüttelt den schlafenden Opa wach: Was hab ich gesagt!

So ein Blödsinn, brummt der Opa. Wenn du weißt, was passiert, brauchst du es doch nicht auszuprobieren, und das Kind in deine Machenschaften zu verwickeln.

Machenschaften, ruft die Oma, hoho! Hörst du das, Laura, Machenschaften!

Laura möchte auch bei den anderen Nachbarn um Eier fragen. Da siehst du es, sagt die Oma zum Opa. Der Opa sieht nichts. Er schläft schon wieder. Laura erbittet insgesamt fünf Eier und bekommt eine Tafel Schokolade geschenkt. Da haben sich meine Machenschaften auch für dich gelohnt, sagt die Oma. Morgen bringst du die Eier zurück. Vielleicht kriegst dann noch mal was.

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