Das Buch war ein richtiger Sommerhit und stand wochenlang auf der Bestsellerliste. Damals war die Welt für den ADAC noch sonnengelb und der Himmel blau. Ich hatte viel Spaß beim Schreiben – und kann, ohne rot zu werden, behaupten, einen echten Engel zu kennen.
Nachfolgend einige Textauszüge aus Männer sind anders, Autos auch
… Als ich in Memmingen ankomme, ist dichter Nebel aufgezogen. Ich wähle die im Display notierte Handynummer mit ausländischer Vorwahl meines nächsten Havaristen. „Kommen Sie, wir warten“, tönt eine raue Stimme mit vielleicht osteuropäischem Akzent aus der Freisprechanlage.
Das Navi führt mich in ein Gewerbegebiet. Am Ende einer Industriestraße parkt ein schwarzer BMW mit eingeschaltetem Licht. Aus dem Fond des Wagens steigt ein Mann und kommt zu mir. Er trägt einen dunklen Anzug und begrüßt mich mit seinem leichten Akzent. Dann stellt er fest: „Wir fahren voraus.“
In meinem Engelmobil folge ich dem BMW auf ein Gelände mit leer stehenden Hallen. Ich sehe eingeschlagene Fensterscheiben und Graffitis – nirgends entdecke ich Firmenschilder. Vor einer der verschlossenen Hallen mit stellenweise rostigen Toren steht eine amerikanische Limousine, deren Marke ich nicht kenne. Dafür erkenne ich, dass in dem BMW drei Gestalten sitzen, die ich jedoch nicht genauer sehen kann. Mein Kontaktmann steigt aus und öffnet die Haube der Limousine. „Springt nicht“, sagt er zu mir und „Batterie.“
Normalerweise würde ich jetzt fragen: Wie lange steht das Auto, wann sind Sie zuletzt gefahren, sind Sie ADAC Mitglied und um den Fahrzeugschein bitten. Obwohl ich selten fernsehe, habe ich vielleicht doch zu viel ferngesehen und entscheide mich dazu, möglichst keine Fragen zu stellen.
Ich messe kurz die Spannung der Batterie des Fahrzeugs unbekannter Herkunft und schließe aus dem niedrigen Ergebnis, dass hier wohl Unstimmigkeiten herrschten und zu lange im Fahrzeug verhandelt wurde. Ich möchte auf keinen Fall eine Sicherung im Kofferraum überprüfen müssen und klemme mein Starthilfekabel an. Mein Kontaktmann lässt mich nicht aus den Augen. Ich bitte ihn zu starten.
In dem BMW sehe ich eine Zigarette aufglimmen. Ich fühle mich von allen Seiten beobachtet und schicke ein Stoßgebet an die obere Engelinstanz. Meine Sehnsucht nach Daheim wächst. Mit dem leicht blechernen Röhren amerikanischer Big Block Motoren startet der Motor und schwingt sich ein auf ein sattes, zufriedenes Achtzylinderbrummen. Ich messe noch schnell die Ladespannung und melde meinem Kontaktmann „Lichtmaschine okay.“
„Batterie?“
„Auch okay.“
Ich klemme meine Kabel ab und räume sie auf. Dann bitte ich um die ADAC Mitgliedskarte.
Mein Kontaktmann greift in sein Jackett. Vielleicht sehe ich ein Holster. Vielleicht bin ich aber auch im falschen Film.
Er reicht mir die Mitgliedskarte. Ich nehme die Daten auf. Eigentlich müsste ich jetzt um Aushändigung des Fahrzeugscheins bitten und ein Werbegespräch führen. Wollen Sie nicht lieber zur ADAC Plus Mitgliedschaft wechseln? Da wäre auch Ihre ganze Familie mitversichert. Auch im Ausland. Ich kann das jetzt gleich für Sie veranlassen.
Ich beschließe, darauf zu verzichten. Ich kenne mich in dieser Szene nicht aus, hege allerdings einen vagen Verdacht, dass diese Familie auch im Ausland ohne ADAC gut zurecht kommt. Um mein Gesicht zu wahren und nicht in die Abteilung Warmduscherin, weicher Eierstock, Turnbeutelvergesserin etc. abzurutschen, frage ich ihn nach dem Fahrzeugtyp und Baujahr.
„Nicht mein Auto.“
„Natürlich“, stammle ich. Und denke: Blöder Anfängerfehler. Es ist frisch geklaut. Das sieht man doch.
Ich schiebe den ausgefüllten Pannenbericht auf der hinteren Ablage meines Engelmobils Richtung Vladimir und reiche ihm einen Kugelschreiber. Er greift in seine Jackeninnentasche und zieht seinen Kugelschreiber hervor. Ich lerne schnell und vermute: Wegen der Fingerabdrücke. Die Unterschrift ist natürlich nicht zu entziffern.
„Danke“, sagt Vladimir.
„Keine Ursache“, erwidere ich und gebe dem Engelmobil die Sporen.
Mutti macht schon
Eigentlich mag ich Reifenpannen, wenn auch nicht gerade beim Ford Transit und auf dem Seitenstreifen der Autobahn. Als ich ankomme, staune ich nicht schlecht. Ich rechnete mit einem Lieferwagen und einem Parkettleger, manchmal habe ich vorab eine Vorstellung zu einer Panne, stattdessen erwarten mich vier junge Männer zwischen achtzehn und zwanzig. Es sind Surfer, wie ich unschwer am Gepäck auf dem Dach und auch an ihrer Kleidung erkenne. Sie tragen Sonnenbrillen, Label-T-Shirts, Shorts und Schlappen. Ich beneide sie ein bisschen um die Beinfreiheit. Heute ist ein wunderbarer Frühlingstag. Schon morgens zeigte das Thermometer über zwanzig Grad. Die Jungs sind bestimmt auf dem Weg nach Süden, vielleicht Gardasee – und vor mir liegt ein arbeitsreiches Wochenende.
Ich stelle mein Engelmobil circa dreißig Meter hinter den Transit auf den Seitenstreifen und sichere die Panne, indem ich meine orangeweißen Hütchen noch einmal fünfzig Meter weiter nach hinten trage. Diese unvorteilhaft quer gestreiften Kameraden – unten dick, oben dünn – heißen Pilonen und sollen mir das Leben retten. Ich habe sie im Laufe der Jahre richtig lieb gewonnen. Wie tapfere kleine Soldaten stehen sie auf der Straße und zwingen uneinsichtige oder unaufmerksame Verkehrsteilnehmer aus meiner Spur. Jetzt, da sich der geplatzte Reifen auf der linken, also der Fahrbahn zugewandten Seite befindet, bitte ich einen der Surfer, sich an den Straßenrand zu stellen und den Verkehr zu beobachten, um mir bei Gefahr Bescheid zu sagen – was heißt hier Bescheid sagen: schreien, rennen, springen. Über die Leitplanke. In die Böschung. Nur schnell weg. Gefahr bedeutet, dass ein übermüdeter Lkw-Fahrer in Sekundenschlaf fällt und nach rechts driftet. Wenn ein Vierzigtonner auf dem Standstreifen daherkommt, walzt er alles nieder. Zuerst die Pilonen, dann das Engelmobil und zum Schluss das Pannenauto. So etwas geschieht leider immer wieder und hat mehrere meiner Kollegen, auch von Abschleppdiensten und Autobahnmeistereien, von Polizei und Feuerwehr schwer verletzt oder getötet. Davor habe ich Angst – nicht vor Vladimir und seiner Familie. Nicht allein nachts im Dunkeln, sondern am Nachmittag auf der Autobahn, wenn Trucker ihrem Biorhythmus erliegen. Aber jetzt ist es erst elf Uhr vormittags und das Risiko erscheint mir kalkulierbar, auch wenn es das nie wirklich ist. Das Ersatzrad befindet sich beim Transit unter dem Fahrzeug.
„Ich brauche das Bordwerkzeug“, sage ich zu dem jungen Mann mit dem knallgelben T-Shirt. Mistral steht drauf.
Er zuckt mit den Schultern. „Da ist keins. Wir haben schon geschaut.“
Ich gehe zur Beifahrertür und öffne sie.
„Echt nicht“, bekräftigt er.
Ich hole das Bordwerkzeug unter dem Beifahrersitz hervor. Auf der Autobahn wird nicht lange diskutiert.
„Wow!“, staunt der junge Mann anerkennend und ruft die Entdeckung seinen Kumpels zu. „Hey Leute, wir haben das Zeug doch dabei.“
Ich löse die Halterung des Ersatzrades und lege mich unter den Wagen, um das Rad heraus zu ziehen. Ich beeile mich, weil es einer Todsünde gleich kommt, sich auf der Autobahn unter ein Auto zu legen. Auch Engel brauchen einen Schutzengel und den möchte ich nicht überstrapazieren. Ein Lkw donnert hupend vorbei. Ich sehe ihn von unten. Die Erde bebt. Es geht gut dieses Mal. Das Rad lässt sich verhältnismäßig leicht befreien. Ich bocke das Fahrzeug mit meinem wind- und wasserdichten Gore-Tex-Wagenheber auf, löse die Schrauben des defekten Rades und montiere das Ersatzrad. Diese Arbeit benötigt Kraft. Ein großes Rad und eine kleine Frau. Es ist warm und ich schwitze. Die durchtrainierten Surfer schwitzen auch, stehen in einem Grüppchen beieinander und unterhalten sich über die Unfälle, die sie in letzter Zeit erlitten haben. Der eine hat sich beim Freeclimben am Rücken verletzt, der andere laboriert noch immer an seinem Sturz beim Mountainbiken, der dritte hat den Mast auf die Schulter bekommen – kaum hat einer was ausgespielt, nicken die anderen gequält. Ein Krankentransport also. Ein einziger scheint gesund zu sein. Nachdem er mit den Händen in seiner Shorts eine Weile neben mir gestanden hat, stammelt er verlegen „Äh kann ich irgendwie helfen oder so?“
Der Freeclimber mischt sich ein. „Eh mann eh, lehn dich nich so weit ausm Fenster mit deim Knie.“
Der Angesprochene dreht sich um und fragt begriffsstutzig „Äh, wie?“
Ich verbeiße mir mein Lachen. Ich mag solche, die manchmal auf der Leitung stehen, und beschließe zu helfen: „Na, Sie haben doch diese Verletzung am Knie vom Helicopter Skiing.“
Er grinst. „Klar mann. Hab ich glatt vergessen, mann. Geht mir auch schon viel besser.“
Seine Kumpels versuchen ernst zu bleiben.
„Also mein Angebot steht, klar“, gibt er nicht auf. „Ich kann was halten oder was eben zu machen ist, echt mann. Das mach ich gern.“
„Ich bin fertig“, sage ich und ziehe die Schrauben mit dem Drehmomentschlüssel fest, „außer ihr wollt das kaputte Rad jetzt wieder unter dem Auto befestigen.“
„Aber wir müssen es doch flicken lassen, oder?“
„Müssen nicht, aber besser wäre es.“
„Hey Snoopy, können wir das Rad einladen? Ist noch Platz?“, fragt das Knie.
„Schau doch selber“, erwidert die Schulter.
„Das passt schon, wenn du deine Klotür endlich mal vernünftig unterbringst …“
„Sag bloß nichts gegen …“
Während sie debattieren und lyrisch klingende Worte fallen, die ich nie zuvor gehört habe – aufriggen, gleitgeil, kacheln, powerhalsen – robbe ich unter das Auto und befestige das Rad. Mutti macht schon. Beim Abschied wünsche ich ihnen „Gute Besserung!“ Da können sie nicht mehr an sich halten. Ich wusste nicht, dass Jungen genauso albern Lachkrämpfe kriegen können wie Mädchen.
Der Archetypus Rad ab
Ich staune immer wieder, wie viele Menschen, Männer und Frauen, finden, dass Männer Reifen wechseln können müssen und Frauen nicht. Als ich meine Schichten in der Münchner Innenstadt fuhr, war meine Quote an Reifenpannen verhältnismäßig hoch. Ich hegte den Verdacht, die Münchnerinnen und Münchner wären besonders ungeschickte Autofahrer, weil ich jeden Tag rechte Vorderreifen wechselte. Es dauerte ein paar Jahre, bis mir auffiel, dass ich möglicherweise öfter gezielt zu Reifenpannen geschickt wurde als meine männlichen Kollegen. Gelegentlich wurde ich sogar gefragt, wie denn bei dieser oder jener Panne auf mein Erscheinen reagiert worden sei. Ich konnte mir darauf keinen Reim machen, stelle allerdings fest, dass es eine Art emanzipatorisches Reizthema zu sein scheint. Bei Reifenpannen fehlt häufig nicht der Wille, sondern das passende Werkzeug. Das Radkreuz, der Wagenheber, das Ersatzrad oder die Radmuttern sitzen fest und lassen sich mit dem vorhandenen Bordwerkzeug nicht lösen. Also komme ich ins Spiel – daran muss eigentlich nichts peinlich oder lustig sein, obwohl es mich natürlich freut, wenn ich für gute Laune sorge. Außerdem gibt es Autos, bei denen das Ersatzrad unter dem Fahrzeugboden verstaut ist und man muss wissen, wie es ausgebaut wird. Oder man muss lesen können: in der Bedienungsanleitung. Aber das ist ein Thema für sich. Auf jeden Fall muss man sich dafür in den Dreck legen und sieht danach anders aus als vorher. Viele Männer können sich das nicht leisten – wenn sie zum Beispiel im großen Schwarzen unterwegs zu einem Geschäftstermin sind. Da wollen sie es nicht riskieren, mit dunklen Flecken auf der weißen Weste zu glänzen. Hier stellt sich nicht die Frage, ob ein echter Mann einen Reifen wechseln kann, sondern ob er ein funktionierendes Fahrzeug hat – wie der Herr, so sein Gscherr heißt es in Bayern – und gepflegt zu seinem Termin erscheint. Dennoch sind die Rollen vertauscht. Der Mann macht sich schmutzig, die Frau sitzt im Wagen und feilt Nägel. Hier mache ich mich schmutzig, während der Mann auf seinen PDA einsticht. Früher war der Overall im Kofferraum gang und gäbe. Man war auf eine Panne vorbereitet. Das ist völlig aus der Mode gekommen – nicht zuletzt, weil der Gelbe Engel den Overall im Kofferraum und das Hilf-dir-selbst durch sechs mal die zwei ersetzt. Außerdem hat sich das Image der Männer verändert. Mann muss nicht mehr alles selber können. Mann hat jetzt eine Freundin, die alles selber kann – oder genügend Geld, um zu delegieren.
Zitronengelbe Kleider
Mein erster Kontakt mit der Presse stand bevor. Eine Münchner Zeitung wollte ein Porträt von mir veröffentlichen. Dazu gehörte ein Foto, das ein Fotograf in der AWS machen sollte. Ich sagte Odumeinmeister Bescheid.
Kurz vor der Mittagspause nahm er mich beiseite. „Du kommst heute Mittag mit.“ Das war eine ungewöhnliche Anweisung, doch er war Odumeinmeister und ich widersprach nicht. Schlag zwölf Uhr konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Bei laufendem Motor saß er in seinem roten Audi 80. „Los! Beeil dich!“
„Wohin fahren wir denn?“
Er schwieg. Ich auch. Odumeinmeister war selten gesprächig. An der Schönstraße bogen wir rechts ab Richtung Sechziger Stadion, dann ging es auf die Tegernseer Landstraße. Ich vermutete, wir würden etwas essen. Das machte er manchmal mit den Lehrlingen. Zuerst eine Mahlzeit, dann ein paar Tipps zur zukünftigen Spitzvermeidung: Du musst sorgfältiger arbeiten. Du musst pünktlicher zur Arbeit kommen. Du musst …
Ich hätte von dieser unangenehmen Einladung gerne vorher gewusst, denn ich hatte eine Brotzeit dabei. Essen gehen konnte ich mir mit meinem schmalen Lehrlingsgehalt von dreihundertfünfzig Mark nicht leisten – auch wenn ich wegen des frühen Tods meines Vaters während meiner Ausbildung eine Halbwaisenrente bezog. Reinhard parkte vor Karstadt – damals eine Kaufhauskette. Im absoluten Halteverbot. Gegenüber befand sich eine Döner Bude. Ich hatte nichts gegen Döner – aber den konnte man sich doch auch bringen lassen von einem Stift aus dem ersten Lehrjahr? Ich selbst habe immer sehr gern Brotzeit geholt – eine der Aufgaben, die mir zu Beginn meiner Lehre gut gefallen haben. Das Werkstattkehren – auch ein Anfängerjob – mochte ich natürlich nicht so gern und war froh, es nun los zu sein. Dafür genoss ich das Werkstattausspritzen mit dem Schlauch. Männer beiderlei Geschlechts lieben den Kärcher Hochdruckreiniger, wie ich den Schauspieler Jürgen Busse kürzlich sagen hörte. Und auch die Brotzeit hätte ich noch immer gern geholt. Mit einem langen Zettel und einem Dachdeckerbleistift, ich weiß nicht, woher ich den damals hatte, und dann die Bestellung der Kollegen aufnehmen. Zwei Leberkässemmeln mit süßem Senf. Eine mit scharfem. Eine Butterbreze. Eine Wurstsemmel. Noch eine Wurstsemmel, aber mit Gurke. Und zwei Wurstsemmeln mit viel Löwensenf.
„Döner?“, fragte ich Reinhard.
„Was?“
„Döner?“, wiederholte ich.
„Karstadt“, sagte er.
Jetzt war ich wirklich ratlos. Karstadt. Gab es da ein Schnellrestaurant? Das wäre mir neu gewesen. Reinhard schien es sehr eilig zu haben. Er ging nicht, er rannte. Und ich hinterher. In der Damenbekleidungsabteilung blieb er abrupt stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute nach links oben. Ich stellte mich neben ihn und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. So einen Fall hatte ich weder in der Schule noch in der Werkstatt bislang durchgenommen. Wir standen eine Weile zwischen den luftigen Sommerkleidern an drehbaren Ständern. Reinhard trug einen taubengrauen Kittel, ich einen blauen Overall. Unsere Händen waren frisch geschrubbt, doch sie zeigten Trauerränder. Die Sommerkleider wendeten sich entsetzt ab von uns. Eine Verkäuferin ließ sich nicht schockieren. „Kann ich Ihnen helfen.“
„Wir suchen ein Kleid“, erfuhr ich da von Reinhard. „Für die“, er räusperte sich, „die Dame.“
Die Dame! Er hatte die Dame zu mir gesagt. Ich war gleichermaßen empört, verwirrt, fassungslos – wie gelähmt stand ich neben ihm.
„Für einen bestimmten Anlass?“, fragte die Verkäuferin.
„Fototermin“, erklärte Reinhard knapp.
Die Verkäuferin war ein Profi. Ihrem „Ah ja“ war nichts anzumerken. Sie wendete sich zu mir. „Achtunddreißig?“
Ich war noch immer so durcheinander, dass ich „Vierundzwanzig“, erwiderte. So alt war ich. Aber das ist natürlich keine Größe. Zu meinem Erstaunen wusste das sogar Reinhard. Er nickte und sagte: „Wie meine Frau. Achtunddreißig. Das passt.“
„Reinhard! Ich zieh kein Kleid an!“ Endlich hatte ich wieder eine Stimme.
„Ich will dir eins schenken. Du hast gut gearbeitet in letzter Zeit.“
„Aber doch kein Kleid!“ Machte er sich über mich lustig? Was war mit der Kupplungsreparatur vorletzte Woche, bei der ich zusammen mit einem anderen Lehrling vergessen hatte, das Ausrücklager einzubauen? Daran litt ich heute noch. Reinhard schien die Blamage vergessen zu haben und blieb hartnäckig. „Für den Fototermin.“
„Ich zieh kein Kleid an!“
Die Verkäuferin drehte sich diskret weg und ordnete einige zitronengelbe Kleider, die versucht hatten, von ihren Bügeln zu fliehen.
„Ne Hose?“ fragte er.
Ich schwieg.
„Bitte, haben Sie auch Hosen, Damenhosen“, wandte Reinhard sich an die Verkäuferin.
„Selbstverständlich. Dort drüben, bitte.“
Wir folgten ihr in eine Ecke.
„Keine Jeans“, verlangte Reinhard. „Was Buntes.“
„Ich zieh doch nichts Buntes an!“, widersprach ich.
„Blau vielleicht?“, fragte mich die Verkäuferin.
Reinhard schüttelte den Kopf. „Blau ist nicht bunt.“
Der geschulte Blick der Verkäuferin hatte mich längst eingescannt. Sie legte eine weinrote Hose mit hellblauen Seitennähten auf den Tisch. Die gefiel mir sofort. Schöne Farbe, schöne Machart.
„Ja, die ist gut“, bestimmte Reinhard und griff danach.
„Die Dame sollte sie vielleicht noch anprobieren“, schlug die Verkäuferin vor.
Es war mir wahnsinnig peinlich, unter Reinhards Blicken aus der Garderobe zu kommen und ich ratschte den Vorhang mit solcher Entschlossenheit zurück, dass Odumeinmeister sich erschrocken zu mir drehte. Als ich mich selbst im Spiegel betrachtete, starrte er auf meine Füße.
„Gefällt dir die?“, fragte er schließlich.
„Ja“, nickte ich. Sie gefiel mir wirklich. Eine tolle Hose.
„Dann schenk ich sie dir“, sagte er.
„Danke“, sagte ich.
Als wir uns an der Bude noch zwei Döner geholt hatten und ohne Strafzettel zurück zur Werkstatt fuhren, hatten wir beide hervorragende Laune. Kurz bevor der Fotograf kam, erinnerte Reinhard mich: „Susa! Es ist gleich so weit. Zieh dich um.“
Folgsam schlüpfte ich in die neue rote Hose. Allmählich konnte ich mich darüber freuen. Der Fotograf jedoch freute sich nicht. Er hatte den Auftrag, mich in einer typischen Situation bei der Arbeit zu fotografieren.
„Haben Sie keinen Blaumann und einen großen Hammer?“, wollte er wissen.
Mit den Waffen einer Frau
Manche Starthilfen kommen ganz harmlos daher und entpuppen sich dann durch die Verkettung elektronischer Eingeschnapptheiten mehrerer Komponenten zu langwierigen Behandlungen. Diese Panne läuft wie geschmiert. Ankommen, begrüßen, ein ehrliches Geständnis der Havaristin. „Ich habe das Licht brennen lassen.“ Keine Beschönigungen seitens der ausnehmend attraktiven Frau von wegen abgelenkt gewesen, Kinder krank, mein Mann ist gefahren. Nachdem ich die Starthilfekabel angeklemmt habe und der Motor anspringt, prüfe ich die Batterieladung: alles gut.
Wir stehen unter der Heckklappe meines Engelmobils und ich fülle den Pannenbericht aus. Frau Mäusl beobachtet mich dabei auf eine Art und Weise, wie ich glaube, dass Männer mich nicht ansehen. Und Frauen eigentlich auch nicht. Lang verharrt ihr Blick auf meinen für meine Verhältnisse relativ sauberen Händen, lang verharrt er in meinem Gesicht. Ich nehme mir vor, gleich wenn sie weg ist, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen, vielleicht habe ich einen schwarzen Strich an der Backe. Frau Mäusls Augen sind blau wie ihr Peugeot. Sie erscheint mir wie ein Gesamtkunstwerk. Alles passt zusammen, der Schmuck, die langen gepflegten perlmuttfarbenen Fingernägel, der unaufdringlich angenehme Duft und der makellose Teint, vielleicht vergoldet auf dem Tussitoaster in Münzmallorca.
Frau Mäusl räuspert sich „Darf ich Ihnen etwas Persönliches sagen?“
In der Erwartung eines Komplimentes nach dieser bilderbuchreifen Panne nicke ich.
„Waren Sie schon einmal bei einer kosmetischen Behandlung? Das würde Ihnen sicher gut tun.“
Ich starre sie an und ringe um Fassung.
„Ja“, sage ich dann betont locker. „Früher. In der Pubertät. Als Clerasil versagte.“
„Das ist doch heute ganz anders. Es ist eine Wohlfühlbehandlung. Alkoholhaltige Gesichtswasser sollten Sie übrigens auf keinen Fall verwenden. Die schaden Ihrer Haut, die ja im Großen und Ganzen schön ist. Eine sehr feine Haut haben Sie. Allerdings sollten Sie die mal reinigen lassen. Porentief. All der Dreck, Sie arbeiten doch ständig auf der Straße. Und Ihre Hände. Da kann man schon einiges tun für diese Risse.“
Ich denke an den Kärcher Hochdruckreiniger und mustere meine Hände, die mir vorhin noch ziemlich sauber vorgekommen sind. Ein verstohlener Blick auf Frau Mäusls Hände belehrt mich eines Besseren – doch nur kurzfristig. Ich gelange zu der Einsicht, dass wir nicht miteinander zu vergleichen sind. Sie schleckt genüsslich ihre Katzenpfötchen, ich bin Paarhufer. Aus Hufen kann man keine Pfötchen machen.
„Ich würde Ihnen gern auch einen Gutschein schenken. Einfach mal so zum Ausprobieren“, bietet Frau Mäusl großzügig an.
„Vielleicht können wir tauschen? Haben Sie Lust, mal einen meiner Autopannenkurse zu besuchen?“, revanchiere ich mich.
„Au-to-pan-nen-kurs?“, wiederholt Frau Mäusl als wäre das Wort ein öliger Lappen.
„Ja, aber die Waffen würde ich zu Hause lassen. Also falls man die abmachen kann.“
„Waffen?“
Ich deute auf ihre Fingernägel.
„Aber nein, die sind echt!“, grinst sie.
Wir lachen uns beide an und verabschieden uns wie zwei Tiere, die in freier Wildbahn niemals aufeinander treffen würde, mit einem kräftigen und anerkennenden Händedruck