Schlagwort-Archive: Rassehunde

Geschundene Gefährten


Schon das erste Buch mit Professor Achim Gruber “Das Kuscheltiedrama”, wochenlang auf der Bestsellerliste, hat bei vielen Menschen zu einem Umdenken geführt und auch zu einer Änderung des Tierschutzgesetzes geführt. Es ist mir eine große Ehre und Freude, auch beim zweiten Buch mitgewirkt zu haben – damit falsch gelebte Tierliebe nicht noch mehr Tierleid verursacht.

 

Betrachtungen am Obduktionstisch

Wie eine aufgeklappte Muschel liegt der gestern verstorbene Blacky vor mir. Sein Mensch hat ihn zu uns gebracht, um die Todesursache zu erfahren. Blacky war doch erst fünf Jahre alt. Dieser frühe Tod verunsicherte die Patientenbesitzerin. „Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte sie mich mit kummervoller Stimme am Telefon. Ja, das haben Sie wohl, dachte ich, noch bevor ich das Skalpell an Blackys Brustbein ansetzte, um ihn zu eröffnen und dem Geheimnis seines Todes auf die Spur zu kommen. Ich hatte bereits eine Vermutung und war mir schon bald ziemlich sicher, woran Blacky, Angehöriger einer Modehund-Rasse, gestorben war.

Todesursachen hinterlassen Spuren. Wir Pathologen, das kennen Sie vermutlich aus Krimis, sind Spurensucher, und oft finden wir eine Fährte, die zum Täter führt. Auch bei Tieren habe ich schon manche Fährte gefunden – zum Beispiel, wenn ein Hund oder eine Katze Opfer eines Giftanschlags oder einer Virusinfektion wurde. Da bringt ein Patientenbesitzer seinen Liebling morgens zu uns, einen schlimmen Verdacht im Gepäck. War es der Nachbar, der sich schon mal über ein nächtliches Bellen beschwert hat? Oder steckt eine neue Seuche dahinter? Jede Obduktion ist für mich eine Botschaft. Natürlich kann ich dem Tier nicht mehr helfen. Doch die Pathologie ist eine Wissenschaft für die Lebenden. Wenn wir wissen, woran Menschen und Tiere gestorben sind, können wir den Lebenden besser helfen und künftige Erkrankungen und Leid verhindern. Wir Pathologen wollen, dass Schicksale sich nicht wiederholen.

Blacky gehört zu den vielen krank und zu Tode gezüchteten armen Geschöpfen. Nach der Obduktion trete ich im hellen Neonlicht einen Schritt vom Edelstahltisch zurück, streife die blauen, bis zu den Ellenbogen reichenden Handschuhe ab und fühle mich nicht gut. Ich habe Wut im Bauch. Die medizinische Diagnose ist klar, es gibt aber noch andere Gründe für das plötzliche Sterben dieses Vierbeiners, denn im Kern sind solche Todesurteile eine Kombination aus ahnungsloser Tierliebe, mangelnder Sensibilität und egoistischem Lifestyle.

„Es war die Folge einer Erbkrankheit, also eines Gendefekts“, teile ich der Besitzerin noch am selben Tag mit. „Leider typisch für diese Rasse“, füge ich hinzu. Und denke mir manchmal: Und einen Täter gibt es trotzdem. Uns Menschen nämlich, aber viele von uns wissen das gar nicht. Denn es ist nicht zu leugnen, dass genetisch bedingte Todesursachen, Krankheiten und viele andere durch Zucht entstandene Probleme nicht wenige unserer Hunde, teils auch ganze Rassen, extrem belasten. Manche Rassen stehen bereits jetzt auf der roten Liste und gelten als vom Aussterben bedroht, wenn wir so weitermachen. Auch einige Katzen und andere Haustiere sind betroffen. Denn immer mehr unserer lieben Gefährten sind leider nicht mehr gesund genug für das Leben. Konkret: Wir züchten nicht wenige von ihnen krank und kränker – als gäbe es kein Morgen. Ich weiß, das klingt geradezu paradox in einer Zeit, in der die Medizin immer größere Wunder vollbringt. Aber gegen manche körperliche Belastungen unserer vierbeinigen Schützlinge ist auch die moderne Tiermedizin noch immer machtlos. Und nicht alles, was machbar ist, ist eben auch gut.

Wie sollte ich die Frage von Blackys Frauchen nach ihrer Schuld beantworten? Sollte ich ehrlich zu ihr sein, jetzt, in der Phase ihrer tiefsten Trauer? Genau genommen hatte sie nicht nur einen, sondern drei Fehler gemacht. Sie hatte sich, ohne sich vorher zu informieren, das Tier einer defekt gezüchteten Rasse zugelegt, und damit ein Problem. Zweitens hatte sie mit dem Kauf diese Form der Defektzucht auch für nächste Generationen weiter unterstützt. Und drittens hatte sie nicht gewusst, wie mit dem Zuchtdefekt richtig umzugehen war, welche besonderen Vorsorgen und Rücksichten bei dieser bekannten Krankheitsneigung erforderlich sind. Gleichzeitig dachte ich: Nein, der Patientenbesitzerin allein ist kein Vorwurf zu machen. Aber wenn sich niemand mehr einen krank gezüchteten Hund zulegt, wird es keinen Markt mehr für krank gezüchtete Hunde geben – sie werden nicht mehr „produziert“. Ich würde ihr das alles behutsam erklären, aber erst in ein paar Tagen.

Als Tierarzt und Pathologe bin ich tagtäglich mit diesem Leid konfrontiert und sehr beunruhigt über grundlegende und weitreichende Fehlentwicklungen in der Haustierzucht. Seit einiger Zeit stehen die armen Möpse öffentlich am Pranger, weil viele von ihnen nur röchelnd, schnorchelnd und schnarchend durch ihr leidvolles Hundeleben kommen und manchmal auch an Atemnot oder am Hitzschlag versterben. Mir scheint, sie lösen bei vielen Betrachtern Mitleid und Schutzreflexe aus, eine Mischung aus Sympathie und Empathie für ein Geschöpf, mit dem es das Leben einfach nicht gut gemeint hat. Kritik, so die allgemeine Auffassung, steht uns jedoch nicht zu. Denn knuffig finden wir sie doch und gehen weiter. Diese armen Tiere symbolisieren mittlerweile unsere komplexe emotionale Verstrickung aus Mitgefühl, Scham, Wegsehen und Kleinreden. Man will vielleicht keinem Hundehalter, der seinen Mops ja liebhat, zu nahetreten, und so verbieten sich Fragen nach den Ursachen des Elends, Fragen nach Schuld und Auswegen. Doch nicht nur Fragen wären gerechtfertigt, auch Empörung wäre hier am rechten Platz. Doch wir sind vielmehr empfänglich für die Argumente der „Experten“, die uns viele Qualen, die Tiere erleiden, als „von Natur aus“ gegeben, „rassetypisch normal“ und „tausendjähriges Kulturgut“ verkaufen. Dabei merken wir gar nicht, oder wollen es nicht wahrhaben, wie falsch, absurd und zynisch das alles ist. Denn diese Möpse sind erst in den letzten Jahrzehnten von Menschenhand genauso und mit voller Absicht geschaffen worden. Und es ist noch viel, viel schlimmer, weil die furchtbaren anatomischen Verirrungen unserer Möpse nur die ganz kleine Spitze eines riesengroßen Eisberges bilden.

Der Kauf vieler Rassehunde kann zum russischen Roulette werden. Weit mehr als fünfhundert genetisch bedingte, größtenteils bei der Zucht oder Domestikation entstandene Krankheiten, Leiden und Sinnesstörungen kennen wir mittlerweile bei Hunden. Die Zahl steigt stetig, und die Dunkelziffer ist wahrscheinlich viel höher. Viele sind uns vom Menschen her geläufig, etwa Epilepsien, Immunschwächen, Allergien, Blutgerinnungsstörungen, frühe Demenz und diverse schmerzhafte orthopädische Erkrankungen. Nicht wenige nehmen einen tödlichen Ausgang, etwa durch einen ungewöhnlich frühen, genetisch vorprogrammierten Krebs oder durch Herzschwäche. Was viele überraschen wird: Ein großer Teil dieser gesundheitlichen Risiken und Einschränkungen trat erst bei der Zucht nach Gründung der jeweiligen Rasse auf, oft erst in den letzten Jahrzehnten. Die meisten Probleme sind Nebenwirkungen derselben Entwicklung, der wir Rassevielfalt, Hundeschönheit und viele andere Vorzüge verdanken, die wir an unseren Lieblingen so schätzen. Nicht wenige Rassen sind dabei immer kränker geworden, und kaum eine ist nicht betroffen. In zahlreichen Fällen finden sich die Defekte in einem erstaunlich hohen Anteil der Tiere innerhalb einer Rasse. Bisherige züchterische Bemühungen zur Reduktion der Probleme blieben oft hinter den Erwartungen zurück. In der Summe tragen unsere heutigen Rassehunde weitaus mehr Genschäden und Funktionsdefizite als alle anderen von uns gezüchteten Haustiere und – natürlich – mehr als alle Wildtierarten. Besonders eindrucksvoll ist der Vergleich mit seiner Urform: Schätzungen zufolge ist der Hund etwa einhundertfach stärker mit Erbkrankheiten und genetisch bedingten Leiden belastet als der Wolf.

Warum sehen wir die höchste Zahl an zuchtbedingten Schädigungen und die schlimmsten Probleme gerade beim Hund, den wir von allen Tieren unseren besten Freund nennen? Unser Begleiter durch dick und dünn hat schließlich unter allen Vierbeinern das größte Talent, uns glücklich zu machen. Dieses Paradox beschäftigt mich täglich, denn alle erwähnten Probleme sind die direkte Folge unserer besonderen Freundschaft zu Hunden. Viele Leiden, die sie erdulden müssen, sind eindeutig das Ergebnis unserer intensiven züchterischen Gestaltungen und unseres höchst erfolgreichen Formens von Wunschgefährten. Ein großer Teil der Krankheiten, Leiden, Sinnesstörungen und Verhaltensverarmungen resultierte aus unseren Bemühungen, Hunde noch besser zu machen, noch reiner, schöner, extravaganter und vielgestaltiger.

Nicht nur extrem kurznasig gezüchtete Möpse, Bulldoggen und Pekingesen, denen man ihre Atemnot anhört, sind Zuchtopfer. Ein großer Teil der heute beliebten Moderassen büßt für die Zuchtziele, die wir Menschen ihnen angetan haben, mit ihrer Gesundheit. Ob die vielen groß gezüchteten Hunde, die nicht mehr richtig laufen können, oder Dalmatiner, die zwar schön aussehen, aber dafür leider taub sein können. Oder die aktuell beliebten Farbverdünnungsvarianten mit Aufhellung der Grundfarbe vieler Rassen – also silver, blue, charcoal, champagner, lilac und so weiter –, die ihre tolle Farbe, an der sie persönlich wohl kaum Freude haben, nicht selten mit unheilbarem Haarausfall und Hautproblemen bezahlen. Oder besonders klein gezüchtete Hundezwerge mit dysproportionalen Anatomien, die an Kniescheibenverlagerungen, gestörtem Zahnwechsel oder besonderen Stoffwechselstörungen leiden und teils sogar sterben können. Dazu kommt die Verbreitung einer Vielzahl von teils schweren Defekten durch Inzucht, die oft gar nichts mit dem Wunschmerkmal der Zucht zu tun haben. In all diesen und noch viel mehr Fällen besteht heute ein krasser Gegensatz zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Erkrankungen und Tierleid und dem Ausblenden der Wahrheiten durch die in eine Rasse geradezu vernarrten Fans. Außenstehenden muss dieser Widerspruch völlig unverständlich vorkommen. Immer wieder taucht dieselbe Frage auf: Warum muten wir Lebewesen, die wir vorgeblich lieben, solch ein Elend zu?

Den krassen Konflikt zwischen unseren züchterischen Interessen und den anerkannten Tierschutzprinzipien blenden wir seit langem systematisch und höchst erfolgreich aus. Die überschwänglichen Entzückungen haben unsere rosafarbene Brille für die Wahrheiten hinter der malerischen Kulisse der Rassenvielfalt gründlich vernebelt. Wir müssen eingestehen, dass unsere traditionellen Rassekonzepte und Zuchtpraktiken sich vielfach als fatale Irrwege erwiesen haben und wir nun auf dem brodelnden Vulkan ihrer Defekte tanzen. Zusätzliche Bedrohungen wie Fettleibigkeit mit all ihren Folgen und ein drastisch reduziertes Verhaltens- und Bewegungsrepertoire sind der zunehmenden Bereitschaft geschuldet, unsere Lebensumstände mit unseren vierbeinigen Gefährten zu teilen. Auf dem Weg ihrer Vermenschlichung haben wir vor allen anderen Tieren die Rassehunde aus dem Paradies der natürlichen Gesundheit eines Wolfes vertrieben und sie mit unseren Zivilisationskrankheiten geradezu angesteckt. Ausnahmen gibt es wenige, etwa manche nach Leistung und Talenten gezüchtete Jagd- und Diensthunde, aber selbst bei ihnen sehen wir traurige Entwicklungen.

Bei Katzen und anderen Haustieren sind in manchen Rassen und Zuchtformen ähnliche Tendenzen zu erkennen, jedoch in der Summe noch deutlich weniger häufig. Punktuell erschrecken jedoch auch bei ihnen krasse Auswüchse von bewusst erzeugten Defektzuchten, etwa extrem kurznasig und deformiert gezüchteten Exotischen Kurzhaar- und Perserkatzen bis zu den bedauernswerten Peke-Face-Varianten. Ihre Schöpfer erfreuen sich an ihrer Extravaganz und der Überbetonung des Kindchenschemas, weshalb sie oft als „Katzenkinder“ bezeichnet werden. Dahinter verbergen sich erschreckende Zusammenhänge zwischen der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und dadurch verursachter gesundheitlicher Katastrophen für die Ersatzkinder. Ihr Leid und ihre Pflegebedürftigkeit sind groteskerweise gewollt, weil sie der an sich positiven Neigung des Menschen, schwachen und kranken Geschöpfen zu helfen, entsprechen – mehr dazu später.

Ich beobachte darin eine immer größer werdende Schizophrenie unseres Umganges mit den uns anvertrauten Tieren. In meinen gut dreißig Jahren Berufstätigkeit bin ich sozusagen zum Zeitzeugen einer Gesellschaft geworden, in der das Spektrum von abgöttischer, oft blinder Tierliebe bis hin zur verabscheuenswürdigen Ausbeutung reicht. Und beides liegt manchmal ganz nahe beieinander. Als Leiter des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin verfolge ich die Sorgen vieler verschiedener Tierarten und blicke in so manchen Abgrund des Tier-Mensch-Verhältnisses. Meine bittere Erkenntnis aus all diesen Beobachtungen: Wir stehen an einem Scheideweg!

Denn seriöse Hundekenner und Forschende prophezeien, dass mehrere Rassen aufgrund ihrer weitgehenden Degenerationen und ihres aussichtslos defektbelasteten Erbgutes nicht mehr zu retten sind, wenn wir an unseren Rassebildern und Zuchtkonzepten festhalten. Andere, eher gelassene Zeitgenossen winken ab: „So schlimm wird´s nicht kommen, und wenn, dann geht das Leben weiter.“ Ausgestorben wurde schon immer. Außerdem gibt´s ja bahnbrechende Entwicklungen in der Molekularbiologie, in der Gentechnik und beim Klonen. Die werden das schon richten. Ob das realistisch ist, werde ich noch erörtern. Bei aller Begeisterung über die Möglichkeiten der modernen Tiermedizin bin ich aber davon überzeugt, dass wir uns jetzt gut überlegen müssen, welchen Weg wir einschlagen wollen, was wir uns wirklich für die Zukunft von unseren vierbeinigen Familienmitgliedern wünschen und welche Opfer wir ihnen dafür abverlangen dürfen. Wir stehen vor der Wahl, ob wir Auswege aus der aktuellen Sackgasse suchen oder so weitermachen, dabei Verluste in Kauf nehmen und allein auf technologischen Fortschritt bauen wollen …

 

 

 

Teile diesen Beitrag