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Älterwerden ist kein Grund zum Jaulen

Ich liebe dieses Buch!

Zumal es mir ja diktiert wurde – von meiner lieben vierbeinigen Muse ;-)

 

 

 

 

Durch dick und dünn, jung und alt

Was war das denn? Prüfend beugte ich mich über den Hund. Flohalarm? Nein, das Ding bewegte sich nicht. Es war weiß und länglich. Wurmalarm? Oder ein Fussel, Staub? Wo war meine Brille schon wieder. Und warum hatte ich dem Hund das noch nicht beigebracht: Such die Lesebrille! Ganz einfach: Weil ich sie dazu stets ordentlich im Etui verstauen müsste. Eingespeichelt nutzt auch die stärkste Lupe nichts.

Ich starrte auf den Hundekopf, kniff die Augen zusammen und zuckte dann zurück, als hätte ich eine Armee Flöhe erblickt. Aber was ich sah, war schlimmer. Es war … ein weißes Haar! An der Augenbraue. Meine Musterung war dem Hund sehr unangenehm, verlegen leckte er sich die Lippen. Er hatte doch nichts Schlimmes gemacht? Noch dazu sah er selbst diese weiße Sünde nicht. Er konnte überhaupt nichts dafür. Wie so oft. Das liegt daran, dass Zweibeiner komische Regeln aufstellen, die nicht in die Hundewelt passen: Leg dich nicht dorthin, wo es am bequemsten ist, also auf das Sofa, und erst recht nicht dahin, wo es am intensivsten nach Daheim riecht, nämlich ins Bett. Vernachlässige deine Bedürfnisse, belle nicht, wenn es klingelt, mach dich nicht im Haushalt nützlich als Staubsauger und Vorspüler an der Geschirrspülmaschine, unterziehe Eindringlingen keine Leibesvisitation, schon gar nicht zwischen den Beinen, und auf keinen Fall markiere die Grenzen deines Reviers an Gegenständen, die Wäscheständer oder Liegestuhl heißen. Ob das was damit zu tun hat, dass es zusammengesetzte Wörter sind? Zweibeiner sind gaga, das weiß jeder Hund. Aber sie haben auch viele gute Seiten, und die überwiegen für die Hunde, die dank ihrer unglaublich großen Anpassungsfähigkeit, Toleranz und Großherzigkeit gut damit klarkommen.

… Was man von mir nicht behaupten konnte, als ich die gefühlte Floh- und Lausarmee beäugte, die das schöne schwarze Labradorfell brandmarkte. War dies nur ein einziges, ein zufälliges, ein aus der Ordnung gefallenes Haar, eine Laune der Natur? Oder war es der Anfang vom Ende, der Anfang vom Alter? Das ja ohnehin schon als schwarze Wolke über mir schwebte. Und zwar in doppelter Hinsicht. Mein Hund und ich, wir sind laut Umrechnungstabelle ungefähr gleich alt. Allerdings überholt mich der Hund mit Riesenschritten, typisch Vierbeinantrieb. Bald wird er mich mehrfach überrundet haben und dann vorausgehen. Und mich zurücklassen. Wenn ich mir das vorstelle, wird mir das Herz schwer. Ich will das nicht denken, denn damit mache ich auch das Herz des Hundes schwer, der alles empfängt, was ich aussende. So wie meinesgleichen auch die Signale aufnimmt: Fühlt sich ein Gegenüber alt oder jung – und ihn je nachdem einordnet.

Ein Hund ist ein Herz auf vier Beinen, weiß ein irisches Sprichwort. Wenn ich übers Älterwerden jammere oder mich davor fürchte, kommen diese Emotionen beim Hund an, der alles spürt, und dann geht es ihm nicht gut, wenngleich er keine Ahnung hat, warum. Es genügt ihm, dass eine Laus über die Leber von Frauchen gelaufen ist. Darauf reagiert er. Viele HundehalterInnen glauben irrtümlicher Weise, Hunde hätten ein schlechtes Gewissen, wenn sie beispielsweise den Müll einer Kontrolle unterzogen und den Arbeitsschritt „Zurück in den Eimer“ vergaßen. Die Hunde reagieren nicht auf ihre scheinbare Missetat, sondern in Sekundenbruchteilen auf die in der Körperspannung und der Ausdünstung ihrer Vorgesetzten erkannten Gefühle, also Ärger, und deshalb ziehen sie den Schwanz ein, ducken sich, wirken verlegen. Sie sind nicht schuldbewusst, sondern mitfühlend. Als treue Gefährten nehmen sie auf, was Herrchen und Frauchen aussenden.

Laus über die Labradorin

Dem Hund ist das weiße Haar egal. Aber wenn ich ein Drama draus mache, dann ist er bedrückt, und das bedrückt mich. Dabei will ich unsere gemeinsame Zeit, die mit jedem Tag schrumpft, was schrecklich genug ist, doch bewusst genießen. Das Gleiche gilt für mich. Was bringt es mir, der geschwundenen Jugend nachzutrauern und damit die Gegenwart zu vermiesen. Jeder Moment kann schön sein, ich bin es, die darüber entscheidet. Verdirbt mir der Regen die Laune oder halte ich mein Gesicht in den Guss, weil es jetzt sowieso schon egal ist und denke abends noch an diese Augentropfenblicke. Glückliche gemeinsame Erlebnisse mit meinem Hund wünsche ich mir, das ist ja ohnehin das Einzige, was man der Endlichkeit entgegensetzen kann.

Wer am sich Ende seines Lebens an viele schöne Augenblicke erinnert, dem fällt der Abschied leichter. Aber wir brauchen bis zur zweiten Lebenshälfte, ehe wir verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können.

Warum nicht ein neues Hobby pflegen wie „Schöne Momente sammeln?“ Wenn es gelingt, viele Augenblicke in ihrer Einzigartigkeit zu erkennen … dann sieht die Zukunft, egal wie lang oder kurz sie sein mag, gar nicht mehr so dunkel aus oder rabenschwarz. Wie das Fell meiner Labradorin. Im Lauf unserer Freundschaft hat sie viele Namen bekommen und ist so freundlich, darauf zu reagieren. Hund gehört dazu wie Spätzelchen und andere Peinlichkeiten. Viele werden mit einem klein eingeleitet. Kleiner Spatz, kleine Maus. Sie nimmt es mir nicht übel, obwohl es wirklich albern ist, die Größe der Liebe in die Zuschreibung klein zu stopfen. Gelassen lässt die kleine Große diese Verniedlichungen an sich abtropfen. Gelassenheit ist eine ihrer herausragenden Tugenden, und diesbezüglich habe ich viel von ihr gelernt. Erst mit den Jahren ist mir klargeworden, wie hilfreich es ist, einiges aus dem Hunde- aufs Menschenleben zu übertragen – anstatt wie üblicherweise den Hund zu vermenschlichen. Heute habe ich den Eindruck, dass mein Hund auch mein Coach ist. Und der heißt Miss Lomax. Ihr Name ist keinem blauen Blut entsprungen, sondern einem Hörspiel aus den 1960er-Jahren, der Zeit meiner Geburt. Miss Lomax ist in die Pfotenabdrücke ihrer Vorgängerin Luna getreten und hat auch deren Hundeblog übernommen: www.flipper-privat.de. Der wiederum heißt so komisch, weil ich eine Hundekrimiserie geschrieben habe, in der ein Hund namens Flipper ermittelt. Was dem Hund alles egal ist, aber er hat gelernt, ruhig sitzenzubleiben, wenn ich das Ding auf ihn richte, das so ähnlich heißt wie er. Händi statt Hundi. Dass ich ihn damit für einen Blogeintrag fotografiere, weiß er nicht. Glaube ich. Und es ist auch nicht wichtig. Mein Hund beherrscht die Kunst zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht.

Mit dem vermeintlichen Flohalarm war ein Haar in die Suppe ewiger Jugend gefallen. Eben noch ein fröhlich spielender, vitaler Gefährte, war der Hund schlagartig zum Senior geworden, als Frauchen den Makel entdeckte. Der für den Hund wie gesagt keiner ist. Er hätte die Suppe einfach ausgeschlabbert und wäre weitergelaufen auf seinem Weg, während ich nun von meinem abwich. Ich holte das Haar im übertragenen Sinn mit einer Pinzette heraus, betrachtete es von allen Seiten mit der Lupe, legte es in eine Vitrine und machte mir Gedanken, die mein Herz schwer werden ließen. Und also auch das meines Hundes, der alle Spannkraft verlor und mich bedrückt beobachtete. Was war denn los mit Frauchen? Nun, Frauchen hatte Melancholie, nicht bloß Rücken, wie es sich für die Generation Gleitsichtbrille gehörte. Und tatsächlich wuchsen mir in diesem Moment bestimmt drei graue Haare. Vergänglichkeit tut weh. Aber sie gehört dazu. Leben geht nicht ohne. Im günstigsten Fall motiviert sie, noch ein paar Extra-Schöne-Momente zu sammeln. So wie jetzt gerade: Die Weide vor dem Fenster scheint mir zuzuwinken im wilden Wind. Da winke ich einfach mal zurück und … gehöre schwupps nicht mehr zur Generation Silver, sondern bin sechs oder sieben. Breite die Arme aus, hole Anlauf und … kann fliegen. Wie in einer russischen Babuschka Puppe sind alle Alter in uns verstaut oder versteckt. So viele Einladungen, sich lebendig zu fühlen, so viele Perspektiven, die wir kunterbunt wechseln können.

Leinenzwang ade

Das sogenannte subjektive Alter eines Menschen sagt mehr über die physische und psychische Gesundheit aus als das kalendarische Alter. Wer sich mit einem jüngeren Alter identifiziert, fühlt sich mit dem Leben generell zufriedener. Er oder sie hat eine insgesamt positive Haltung zum Leben. Offenbar beschützt die Selbsteinschätzung, jünger zu wirken, sich jünger zu fühlen, uns davor, uns mit einem negativen Bild vom Alter zu identifizieren. Die Weisheit des Alters ist uns abhandengekommen. Die Einstellung Älteren gegenüber ist in unserem Breiten oft geradezu abweisend geworden. So als wäre das eine eigene Rasse, mit der man nichts zu tun haben will. Alte sind lästig. Wie gut, dass es die Weisheit der Hunde weiterhin gibt! Einem Hund sind Truthahnhälse und Hamsterbacken egal. Also so lange sie im Käfig bleiben. Er käme bestimmt nicht auf die Idee, eine Diät zu machen, sich liften zu lassen, die Haare zu färben oder sich anderweitig gegen den Lauf der Natur zu stemmen. Der Hund vergleicht sich nicht und sucht nicht nach Mängeln. Er denkt keinesfalls darüber nach, weshalb er jetzt andere Sachen mag als früher, fragt sich nicht, ob das schlimm ist, wenn er heute mit einer Stunde Gassi zufrieden ist, wo es früher gern zwei sein durften. So wie ich mich gelegentlich frage und an meinen Aktivitäten abzulesen versuche, wo ich mich einordnen soll. Schon alt oder geht noch? Wer sitzt mir da im Nacken? Wirklich das Alter oder meine Vorstellung davon? Oder der Sozialzwang dazuzugehören. Der Druck, die Erwartungen anderer zu erfüllen, die vermutlich unter dem gleichen Druck leiden. Was denken die anderen von mir, wenn …

Da mache ich nicht mehr mit. Nicht, weil ich nicht mehr kann, sondern weil ich nicht mehr will. Das darf ich nämlich jetzt: Nicht mehr wollen. Ich könnte. Aber ich will nicht. Vielleicht will ich morgen wieder. Mal sehen. Ich bin über die magische Grenze in die Freiheit zu mir selbst gesprungen – und Miss Lomax hat mir den letzten Stups dazu gegeben. Ich bin älter. Zum Glück!

Ich muss nicht mehr mitmachen. Ich kann es auch sein lassen. Und jedesmal kann ich mich neu entscheiden. Heute ja, morgen nein. Ich höre auf meine innere Stimme. Und die flüstert mir, dass all diese anstrengenden Beweise von Fitness, Vitalität, Jugend und so weiter in die Schublade mit den gaga Zweibeiner-Sachen gehören. So wie dass man nicht bequem liegen und Gäste nicht anbellen soll und so weiter. Unter uns: Manche Gäste würde ich gelegentlich auch mal gern anbellen. Vielleicht gerade diejenigen, die mir Stress machen, weil ich tun soll, was sie meinen, das beweist, dass man jung ist, denn wenn ich es nicht tue, dann müssten sie vielleicht ihr eigenes Handeln in Frage stellen.

Bonustrack!

Innen drin fühle ich mich immer gleich, unabhängig von meinem Geburtsdatum. Ob da jetzt auf dem Etikett 30, 40, 50 oder 60 steht, macht erst mal keinen Unterschied.

Hey, was soll dieses Vergleichen und Abwägen? Bringt doch nichts. Frauchen ist sechzig. Was soll daran versteckt werden? Und Frauchen ist noch immer da. Was vor hundert Jahren sehr unwahrscheinlich gewesen wäre, da wäre Frauchen nämlich schon futsch gewesen und der Hund sowieso. Was hier läuft, ist der Bonustrack! Alles, was jetzt geschieht, ist, mit Blick auf ein Leben ohne Antibiotika und Co., gesponsert von Krankenkassen, Sozialversicherungsgesetzen … und ein bisschen Glück und Gene gehören auch dazu. Wie gesagt wäre ich vor hundert Jahren in meinem Alter gegebenenfalls schon gar nicht mehr da gewesen. Ende des 19. Jahrhunderts erlebte nur gut ein Drittel aller Frauen ihren 60. Geburtstag, heute sind es knapp 93 Prozent. Ich würde auch nicht übers Älterwerden sinniert haben, sondern wäre bereits alt gewesen und hätte für die aktuelle Meinung uralt ausgesehen. Für heutige Begriffe bin ich noch ziemlich geschmeidig, also wenn ich mich durch ältere Augen betrachte. Durch junge Augen gemustert, bin ich jenseits von. Von allem.

Dass immer mehr Menschen ein höheres Lebensalter erreichen, ist ein Luxus, eine junge historische Errungenschaft. Wir haben uns im Prozess der Zivilisation altersfreundliche Umweltbedingungen geschaffen, von denen Menschen in früheren Jahrhunderten nur träumen konnten. Nein, konnten sie nicht, weil es unvorstellbar für sie gewesen wäre. Auch domestizierte Säugetiere, Haus- und Zootiere werden deutlich älter als ihre in freier Wildbahn lebenden Artgenossen.

Ab fünfzig läuft die Garantie ab. Alles, was jetzt kommt, ist ein Geschenk. Wer es bis hierhin geschafft hat, DARF weitsichtig und grauhaarig sein, mit seinem Fleisch winken und die Tränen in Säckchen lagern. Das sind keine Makel, sondern Ehrenabzeichen, wie die Siegerurkunde bei den Bundesjugendspielen anno dazumal. Nicht jammern, sondern sich freuen!

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Geschundene Gefährten


Schon das erste Buch mit Professor Achim Gruber “Das Kuscheltiedrama”, wochenlang auf der Bestsellerliste, hat bei vielen Menschen zu einem Umdenken geführt und auch zu einer Änderung des Tierschutzgesetzes geführt. Es ist mir eine große Ehre und Freude, auch beim zweiten Buch mitgewirkt zu haben – damit falsch gelebte Tierliebe nicht noch mehr Tierleid verursacht.

 

Betrachtungen am Obduktionstisch

Wie eine aufgeklappte Muschel liegt der gestern verstorbene Blacky vor mir. Sein Mensch hat ihn zu uns gebracht, um die Todesursache zu erfahren. Blacky war doch erst fünf Jahre alt. Dieser frühe Tod verunsicherte die Patientenbesitzerin. „Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte sie mich mit kummervoller Stimme am Telefon. Ja, das haben Sie wohl, dachte ich, noch bevor ich das Skalpell an Blackys Brustbein ansetzte, um ihn zu eröffnen und dem Geheimnis seines Todes auf die Spur zu kommen. Ich hatte bereits eine Vermutung und war mir schon bald ziemlich sicher, woran Blacky, Angehöriger einer Modehund-Rasse, gestorben war.

Todesursachen hinterlassen Spuren. Wir Pathologen, das kennen Sie vermutlich aus Krimis, sind Spurensucher, und oft finden wir eine Fährte, die zum Täter führt. Auch bei Tieren habe ich schon manche Fährte gefunden – zum Beispiel, wenn ein Hund oder eine Katze Opfer eines Giftanschlags oder einer Virusinfektion wurde. Da bringt ein Patientenbesitzer seinen Liebling morgens zu uns, einen schlimmen Verdacht im Gepäck. War es der Nachbar, der sich schon mal über ein nächtliches Bellen beschwert hat? Oder steckt eine neue Seuche dahinter? Jede Obduktion ist für mich eine Botschaft. Natürlich kann ich dem Tier nicht mehr helfen. Doch die Pathologie ist eine Wissenschaft für die Lebenden. Wenn wir wissen, woran Menschen und Tiere gestorben sind, können wir den Lebenden besser helfen und künftige Erkrankungen und Leid verhindern. Wir Pathologen wollen, dass Schicksale sich nicht wiederholen.

Blacky gehört zu den vielen krank und zu Tode gezüchteten armen Geschöpfen. Nach der Obduktion trete ich im hellen Neonlicht einen Schritt vom Edelstahltisch zurück, streife die blauen, bis zu den Ellenbogen reichenden Handschuhe ab und fühle mich nicht gut. Ich habe Wut im Bauch. Die medizinische Diagnose ist klar, es gibt aber noch andere Gründe für das plötzliche Sterben dieses Vierbeiners, denn im Kern sind solche Todesurteile eine Kombination aus ahnungsloser Tierliebe, mangelnder Sensibilität und egoistischem Lifestyle.

„Es war die Folge einer Erbkrankheit, also eines Gendefekts“, teile ich der Besitzerin noch am selben Tag mit. „Leider typisch für diese Rasse“, füge ich hinzu. Und denke mir manchmal: Und einen Täter gibt es trotzdem. Uns Menschen nämlich, aber viele von uns wissen das gar nicht. Denn es ist nicht zu leugnen, dass genetisch bedingte Todesursachen, Krankheiten und viele andere durch Zucht entstandene Probleme nicht wenige unserer Hunde, teils auch ganze Rassen, extrem belasten. Manche Rassen stehen bereits jetzt auf der roten Liste und gelten als vom Aussterben bedroht, wenn wir so weitermachen. Auch einige Katzen und andere Haustiere sind betroffen. Denn immer mehr unserer lieben Gefährten sind leider nicht mehr gesund genug für das Leben. Konkret: Wir züchten nicht wenige von ihnen krank und kränker – als gäbe es kein Morgen. Ich weiß, das klingt geradezu paradox in einer Zeit, in der die Medizin immer größere Wunder vollbringt. Aber gegen manche körperliche Belastungen unserer vierbeinigen Schützlinge ist auch die moderne Tiermedizin noch immer machtlos. Und nicht alles, was machbar ist, ist eben auch gut.

Wie sollte ich die Frage von Blackys Frauchen nach ihrer Schuld beantworten? Sollte ich ehrlich zu ihr sein, jetzt, in der Phase ihrer tiefsten Trauer? Genau genommen hatte sie nicht nur einen, sondern drei Fehler gemacht. Sie hatte sich, ohne sich vorher zu informieren, das Tier einer defekt gezüchteten Rasse zugelegt, und damit ein Problem. Zweitens hatte sie mit dem Kauf diese Form der Defektzucht auch für nächste Generationen weiter unterstützt. Und drittens hatte sie nicht gewusst, wie mit dem Zuchtdefekt richtig umzugehen war, welche besonderen Vorsorgen und Rücksichten bei dieser bekannten Krankheitsneigung erforderlich sind. Gleichzeitig dachte ich: Nein, der Patientenbesitzerin allein ist kein Vorwurf zu machen. Aber wenn sich niemand mehr einen krank gezüchteten Hund zulegt, wird es keinen Markt mehr für krank gezüchtete Hunde geben – sie werden nicht mehr „produziert“. Ich würde ihr das alles behutsam erklären, aber erst in ein paar Tagen.

Als Tierarzt und Pathologe bin ich tagtäglich mit diesem Leid konfrontiert und sehr beunruhigt über grundlegende und weitreichende Fehlentwicklungen in der Haustierzucht. Seit einiger Zeit stehen die armen Möpse öffentlich am Pranger, weil viele von ihnen nur röchelnd, schnorchelnd und schnarchend durch ihr leidvolles Hundeleben kommen und manchmal auch an Atemnot oder am Hitzschlag versterben. Mir scheint, sie lösen bei vielen Betrachtern Mitleid und Schutzreflexe aus, eine Mischung aus Sympathie und Empathie für ein Geschöpf, mit dem es das Leben einfach nicht gut gemeint hat. Kritik, so die allgemeine Auffassung, steht uns jedoch nicht zu. Denn knuffig finden wir sie doch und gehen weiter. Diese armen Tiere symbolisieren mittlerweile unsere komplexe emotionale Verstrickung aus Mitgefühl, Scham, Wegsehen und Kleinreden. Man will vielleicht keinem Hundehalter, der seinen Mops ja liebhat, zu nahetreten, und so verbieten sich Fragen nach den Ursachen des Elends, Fragen nach Schuld und Auswegen. Doch nicht nur Fragen wären gerechtfertigt, auch Empörung wäre hier am rechten Platz. Doch wir sind vielmehr empfänglich für die Argumente der „Experten“, die uns viele Qualen, die Tiere erleiden, als „von Natur aus“ gegeben, „rassetypisch normal“ und „tausendjähriges Kulturgut“ verkaufen. Dabei merken wir gar nicht, oder wollen es nicht wahrhaben, wie falsch, absurd und zynisch das alles ist. Denn diese Möpse sind erst in den letzten Jahrzehnten von Menschenhand genauso und mit voller Absicht geschaffen worden. Und es ist noch viel, viel schlimmer, weil die furchtbaren anatomischen Verirrungen unserer Möpse nur die ganz kleine Spitze eines riesengroßen Eisberges bilden.

Der Kauf vieler Rassehunde kann zum russischen Roulette werden. Weit mehr als fünfhundert genetisch bedingte, größtenteils bei der Zucht oder Domestikation entstandene Krankheiten, Leiden und Sinnesstörungen kennen wir mittlerweile bei Hunden. Die Zahl steigt stetig, und die Dunkelziffer ist wahrscheinlich viel höher. Viele sind uns vom Menschen her geläufig, etwa Epilepsien, Immunschwächen, Allergien, Blutgerinnungsstörungen, frühe Demenz und diverse schmerzhafte orthopädische Erkrankungen. Nicht wenige nehmen einen tödlichen Ausgang, etwa durch einen ungewöhnlich frühen, genetisch vorprogrammierten Krebs oder durch Herzschwäche. Was viele überraschen wird: Ein großer Teil dieser gesundheitlichen Risiken und Einschränkungen trat erst bei der Zucht nach Gründung der jeweiligen Rasse auf, oft erst in den letzten Jahrzehnten. Die meisten Probleme sind Nebenwirkungen derselben Entwicklung, der wir Rassevielfalt, Hundeschönheit und viele andere Vorzüge verdanken, die wir an unseren Lieblingen so schätzen. Nicht wenige Rassen sind dabei immer kränker geworden, und kaum eine ist nicht betroffen. In zahlreichen Fällen finden sich die Defekte in einem erstaunlich hohen Anteil der Tiere innerhalb einer Rasse. Bisherige züchterische Bemühungen zur Reduktion der Probleme blieben oft hinter den Erwartungen zurück. In der Summe tragen unsere heutigen Rassehunde weitaus mehr Genschäden und Funktionsdefizite als alle anderen von uns gezüchteten Haustiere und – natürlich – mehr als alle Wildtierarten. Besonders eindrucksvoll ist der Vergleich mit seiner Urform: Schätzungen zufolge ist der Hund etwa einhundertfach stärker mit Erbkrankheiten und genetisch bedingten Leiden belastet als der Wolf.

Warum sehen wir die höchste Zahl an zuchtbedingten Schädigungen und die schlimmsten Probleme gerade beim Hund, den wir von allen Tieren unseren besten Freund nennen? Unser Begleiter durch dick und dünn hat schließlich unter allen Vierbeinern das größte Talent, uns glücklich zu machen. Dieses Paradox beschäftigt mich täglich, denn alle erwähnten Probleme sind die direkte Folge unserer besonderen Freundschaft zu Hunden. Viele Leiden, die sie erdulden müssen, sind eindeutig das Ergebnis unserer intensiven züchterischen Gestaltungen und unseres höchst erfolgreichen Formens von Wunschgefährten. Ein großer Teil der Krankheiten, Leiden, Sinnesstörungen und Verhaltensverarmungen resultierte aus unseren Bemühungen, Hunde noch besser zu machen, noch reiner, schöner, extravaganter und vielgestaltiger.

Nicht nur extrem kurznasig gezüchtete Möpse, Bulldoggen und Pekingesen, denen man ihre Atemnot anhört, sind Zuchtopfer. Ein großer Teil der heute beliebten Moderassen büßt für die Zuchtziele, die wir Menschen ihnen angetan haben, mit ihrer Gesundheit. Ob die vielen groß gezüchteten Hunde, die nicht mehr richtig laufen können, oder Dalmatiner, die zwar schön aussehen, aber dafür leider taub sein können. Oder die aktuell beliebten Farbverdünnungsvarianten mit Aufhellung der Grundfarbe vieler Rassen – also silver, blue, charcoal, champagner, lilac und so weiter –, die ihre tolle Farbe, an der sie persönlich wohl kaum Freude haben, nicht selten mit unheilbarem Haarausfall und Hautproblemen bezahlen. Oder besonders klein gezüchtete Hundezwerge mit dysproportionalen Anatomien, die an Kniescheibenverlagerungen, gestörtem Zahnwechsel oder besonderen Stoffwechselstörungen leiden und teils sogar sterben können. Dazu kommt die Verbreitung einer Vielzahl von teils schweren Defekten durch Inzucht, die oft gar nichts mit dem Wunschmerkmal der Zucht zu tun haben. In all diesen und noch viel mehr Fällen besteht heute ein krasser Gegensatz zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Erkrankungen und Tierleid und dem Ausblenden der Wahrheiten durch die in eine Rasse geradezu vernarrten Fans. Außenstehenden muss dieser Widerspruch völlig unverständlich vorkommen. Immer wieder taucht dieselbe Frage auf: Warum muten wir Lebewesen, die wir vorgeblich lieben, solch ein Elend zu?

Den krassen Konflikt zwischen unseren züchterischen Interessen und den anerkannten Tierschutzprinzipien blenden wir seit langem systematisch und höchst erfolgreich aus. Die überschwänglichen Entzückungen haben unsere rosafarbene Brille für die Wahrheiten hinter der malerischen Kulisse der Rassenvielfalt gründlich vernebelt. Wir müssen eingestehen, dass unsere traditionellen Rassekonzepte und Zuchtpraktiken sich vielfach als fatale Irrwege erwiesen haben und wir nun auf dem brodelnden Vulkan ihrer Defekte tanzen. Zusätzliche Bedrohungen wie Fettleibigkeit mit all ihren Folgen und ein drastisch reduziertes Verhaltens- und Bewegungsrepertoire sind der zunehmenden Bereitschaft geschuldet, unsere Lebensumstände mit unseren vierbeinigen Gefährten zu teilen. Auf dem Weg ihrer Vermenschlichung haben wir vor allen anderen Tieren die Rassehunde aus dem Paradies der natürlichen Gesundheit eines Wolfes vertrieben und sie mit unseren Zivilisationskrankheiten geradezu angesteckt. Ausnahmen gibt es wenige, etwa manche nach Leistung und Talenten gezüchtete Jagd- und Diensthunde, aber selbst bei ihnen sehen wir traurige Entwicklungen.

Bei Katzen und anderen Haustieren sind in manchen Rassen und Zuchtformen ähnliche Tendenzen zu erkennen, jedoch in der Summe noch deutlich weniger häufig. Punktuell erschrecken jedoch auch bei ihnen krasse Auswüchse von bewusst erzeugten Defektzuchten, etwa extrem kurznasig und deformiert gezüchteten Exotischen Kurzhaar- und Perserkatzen bis zu den bedauernswerten Peke-Face-Varianten. Ihre Schöpfer erfreuen sich an ihrer Extravaganz und der Überbetonung des Kindchenschemas, weshalb sie oft als „Katzenkinder“ bezeichnet werden. Dahinter verbergen sich erschreckende Zusammenhänge zwischen der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und dadurch verursachter gesundheitlicher Katastrophen für die Ersatzkinder. Ihr Leid und ihre Pflegebedürftigkeit sind groteskerweise gewollt, weil sie der an sich positiven Neigung des Menschen, schwachen und kranken Geschöpfen zu helfen, entsprechen – mehr dazu später.

Ich beobachte darin eine immer größer werdende Schizophrenie unseres Umganges mit den uns anvertrauten Tieren. In meinen gut dreißig Jahren Berufstätigkeit bin ich sozusagen zum Zeitzeugen einer Gesellschaft geworden, in der das Spektrum von abgöttischer, oft blinder Tierliebe bis hin zur verabscheuenswürdigen Ausbeutung reicht. Und beides liegt manchmal ganz nahe beieinander. Als Leiter des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin verfolge ich die Sorgen vieler verschiedener Tierarten und blicke in so manchen Abgrund des Tier-Mensch-Verhältnisses. Meine bittere Erkenntnis aus all diesen Beobachtungen: Wir stehen an einem Scheideweg!

Denn seriöse Hundekenner und Forschende prophezeien, dass mehrere Rassen aufgrund ihrer weitgehenden Degenerationen und ihres aussichtslos defektbelasteten Erbgutes nicht mehr zu retten sind, wenn wir an unseren Rassebildern und Zuchtkonzepten festhalten. Andere, eher gelassene Zeitgenossen winken ab: „So schlimm wird´s nicht kommen, und wenn, dann geht das Leben weiter.“ Ausgestorben wurde schon immer. Außerdem gibt´s ja bahnbrechende Entwicklungen in der Molekularbiologie, in der Gentechnik und beim Klonen. Die werden das schon richten. Ob das realistisch ist, werde ich noch erörtern. Bei aller Begeisterung über die Möglichkeiten der modernen Tiermedizin bin ich aber davon überzeugt, dass wir uns jetzt gut überlegen müssen, welchen Weg wir einschlagen wollen, was wir uns wirklich für die Zukunft von unseren vierbeinigen Familienmitgliedern wünschen und welche Opfer wir ihnen dafür abverlangen dürfen. Wir stehen vor der Wahl, ob wir Auswege aus der aktuellen Sackgasse suchen oder so weitermachen, dabei Verluste in Kauf nehmen und allein auf technologischen Fortschritt bauen wollen …

 

 

 

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Ich weiß, was du mir sagen willst

 

ich_weiss_was_du_mir_sagen_willst

Ich habe Stephanie Lang von Langen gleich verstanden und im Lauf der Arbeit an diesem Buch dann auch meinen Hund immer besser.  Die Dolmetscherin für Hunde hat eine unvergleichliche Art, die Kommunikation zwischen Mensch und Hund zu erklären.

Nachfolgend zwei Textauszüge aus Ich weiß, was du mir sagen willst

Die Hunde der Masai

Als ich im letzten Februar wieder einmal in Afrika war, unterhielt ich mich in Kenia in einem Nationalpark mit einem Mann, der dort arbeitete. Seite an Seite beobachteten wir zwei Hunde, die miteinander spielten. In Kenia gibt es augenfällig zwei Kategorien von Hunden. Wachhunde, meistens Rassehunde, vor allem Schäferhunde, Dobermann, Rottweiler, Ridgebacks, die auf ein Grundstück aufpassen. Weiterlesen

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