Das Kuscheltierdrama

Co-Autorin von Professor Achim Gruber: Shirley-Michaela-Seul.de

Die Zusammenarbeit mit Professor Dr. Achim Gruber hat mich sehr bereichert, und es war mir eine große Freude, ihm hin und wieder ein Loch in den Bauch zu fragen! 

 

 

Die Schönheitskönigin

Sie war eine Schönheitskönigin. Von perfekter Figur, mit langem, seidig weichem Haar, die geheimnisvoll schimmernden Smaragdaugen groß und die Stimme rauchig. Wie es sich für eine Diva gehört, war sie launisch. Und sehr, sehr wählerisch. Aber ihr Frauchen wünschte sich Nachwuchs. Neulich hatte man 25.000 Euro für die Schönheitskönigin geboten, die auf einer internationalen Zuchtausstellung zur Siegerin gekürt worden war. Doch es wäre dumm gewesen, auf dieses Angebot einzugehen. Denn wenn die Schönheitskönigin ihre Qualitätsgene zweimal im Jahr vererbte, und das war doch wohl normal für eine Katze, könnte Frauchen ein sehr entspanntes Leben führen und sogar eine eigene Zuchtlinie begründen. Ein standesgerecht passender männlicher World Champion war bald gefunden. Fünftausend Euro sollten für einen erfolgreichen Deckakt bezahlt werden, angesichts des zu erwartenden Gewinns durch die wertvollen Nachkommen nicht allzu haarig.

Um Königin und König ein entspanntes Kennenlernen ohne Zeitdruck und Heimvorteil zu ermöglichen, mieteten die Katzenbesitzer einen Raum in einer Katzenpension. Kein Stundenhotel, Gott bewahre! Das Pärchen sollte mehrere Tage miteinander verbringen – Honeymoon, Flitterwochen, Hauptsache, es paarte sich ausdauernd und mehrte sich zahlreich. Lange Tage, viel Licht und eine einfühlsame Beobachtung der Königin ließen schnell erkennen, wann die passende Zeit bevorstand. Dem König war das egal, Könige können und wollen immer. Hoffentlich war er auch der Richtige, denn bei Katzen entscheidet ausschließlich die Dame, ob oder ob nicht. Besonders sensible Tiere brauchen Ruhe im entscheidenden Moment. Bei Katzen muss einfach alles stimmen, denn erst wenn das gesamte Ritual mit Niederlegen, Nackenbiss mit Tragstarre, Akt und ruckartigem Zurückziehen des mit Widerhaken besetzten Katerpenis geglückt ist, kommt es bei der Kätzin zum Eisprung mit dem typischen Aufschrei – induzierte Ovulation lautet der wenig romantische Ausdruck des Tierpathologen. Katzen wussten immer schon, dass sie von Göttern abstammen. Aber eine kleine Stimulanz würde sicher nicht als Majestätsbeleidigung geahndet: Vielleicht würde das bereitgestellte eiweißreiche Leistungsfutter als Aphrodisiakum wirken, in den Trinknapf der Flitterwöchner gab die Besitzerin einige Tropfen homöopathischer Wolllust.

„Stören Sie unsere Katzen nur, wenn es wirklich nötig ist“, verlangten die Besitzer von dem Ehepaar, das die Katzenpension führte. Die Intimsphäre ihrer Tiere war ihnen heilig. Und dann zogen sie sich diskret zurück.

Nach zwei Tagen überfiel die Königinnenmutter Sehnsucht nach ihrer Katze, und obwohl sie erst am dritten Tag mit dem Besitzer des World Champion in der Pension verabredet war, fuhr sie dorthin. Ob man schon etwas sehen würde? Wann könnte sie selbst ertasten, dass etwas wuchs im Bauch der Schönheitskönigin? Gespannt ließ sich die Katzenbesitzerin das Zimmer aufschließen, trat ein, sah den König, der sie von einer Decke aus träge musterte – oder erschöpft? –, aber keine Königin.

„Soraya, Soraya, So-ray-ya“, lockte die Besitzerin, spitzte die Lippen und ließ lautmalerisch einen Luftballon schrumpfen.

Die Königin kam nicht.

„Wo kann sie denn sein?“, fragte die Besitzerin die Wirtin, nun schon ein wenig beunruhigt, denn in dem Zimmer gab es keine Möglichkeit, sich zu verstecken, allein einen Kratzbaum, etwas Spielzeug, drei Näpfe und in der Ecke einen Schrank.

„Ja, wo ist sie denn?“, fragte nun auch die Wirtin.

„So-ray-ya! Schätzchen! Komm zu Frauchen!“

Allein der König erhob sich, tat träge drei Schritte und plumpste wieder nieder. Argwöhnisch beäugte die Besitzerin ihn. „Wo ist Soraya?“, fragte sie in scharfem Ton.

Hingebungsvoll leckte der König seine Vorderpfote.

„Also, das verstehe ich jetzt auch nicht“, sagte die Wirtin ratlos.

Die Besitzerin öffnete den Schrank. Er war leer.

Keine Spur von Soraya – und so blieb es.

Zwei Stunden später traf der Besitzer des Königs ein. Abermals wurde alles abgesucht. Die Pensionswirte versicherten, dass die Tür stets verschlossen war.

„Und das Fenster?“, fauchte die Besitzerin.

Der Wirt hob die Hand zum Schwur. „Ich habe nur zweimal gelüftet und bin dabei im Raum geblieben.“

Die Königinnenbesitzerin glaubte ihm nicht, die Suche wurde in den Garten und in das benachbarte Wäldchen ausgedehnt. „So-ray-ya“, erschall es bis zur Heiserkeit aus mehreren Kehlen, auch Nachbarn sangen mit.

Den König erregte das Verschwinden seiner Gemahlin – war sie das überhaupt geworden? – nicht. Er ruhte faul auf seiner Decke und beobachtete das Treiben der Zweibeiner unter schweren Lidern. Die Besitzerin der Königin hatte den ersten Schreck überwunden und war nach einer kurzen Phase der Trauer mit Schuldzuweisungen in alle Richtungen beschäftigt. Immerhin: 25.000 Euro. In Luft aufgelöst. Plus das viele Geld, das sie schon auf ihrem Konto gewähnt hatte, für den Nachwuchs. Die Wirte waren schuld, weil sie ihre Aufsichtspflicht verletzt hatten, und der Besitzer des Königs, weil er doch viel näher bei der Pension wohnte als sie und hätte nachsehen müssen. Und natürlich war der König schuld: „Was hast du meiner armen Soraya angetan?“

Der König hüllte sich in Schweigen und wurde schließlich in seine vergitterte Sänfte gebettet nach Hause geleitet.

„Sie hören von mir!“, rief die Königinnenmutter ergrimmt seinem Chauffeur nach. Sie brachte den Gedanken nicht aus dem Kopf, der König habe die Königin zum Fressen lieb gehabt. Aber war das möglich?

Am nächsten Tag putzte die Pensionswirtin das Hochzeitszimmer und bereitete es für neue Gäste vor. Dabei fiel ihr ein unangenehmer Geruch auf. Sie folgte ihrer Nase, stutzte: Konnte das sein? Keuchend zog sie den schweren Schrank von der Wand. Soraya, alles andere als in Topform, etwas trocken und platt wie eine Flunder, fiel mit einem stumpfen Plopp zu Boden.

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