Schlagwort-Archive: Aus der Menschenhütte

Die Rolle rückwärts

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Ich wundere mich, dass keiner es zu merken scheint. Der Fortschritt ist in Wirklichkeit ein Rückschritt: Wir scrollen uns durchs Leben wie wir vor Jahrtausenden Schriftrollen verwendeten. Die Epoche der Seiten, der Papiere ist vorüber. Zurück auf Start. Wischen und rollen, Schriftscrollen.

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Buchstaben grillen

Hauspost CoverbildEs regnet. Ich zünde ein Feuer im Kamin an. Eine Stimmung zum Zurückschauen. Ich öffne den Schrank mit den Manuskripten, deren Rechte ich von den Verlagen zurückerhielt. Sieben Titel suche ich heraus, die ich jetzt alle noch mal veröffentlichen könnte. In einem Printverlag oder als E-Book. Das Holz im Kamin knackt. Ich freue mich auf einen gemütlichen Nachmittag mit den Buchstaben von damals.  Ob ich die Texte ohne viele Korrekturen heute noch veröffentlichen kann?

Zwei Stunden später bin ich desilliusoniert. Wie die Welt sich verändert hat. Meine Plots sind geplatzt. Wer würde noch nach Hause laufen, um seinen Anrufbeantworter abzuhören? Wer würde noch Briefe schreiben. Ich lege Holz nach. Und wenn ich jetzt lauter Papierkugeln knülle und alles ins Feuer werfe, überlege ich. So was hab ich noch nie gemacht. Würde Spaß machen. In Filmen tun sie das auch. Wirkt immer spannend. Der Nachmittag ist so verregnet. Ich knülle mal ein paar Bälle. Kann ja nichts passieren. Die Welt hat sich verändert. Ich lebe im Netz des Computers. Und da geht nichts verloren.

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Geisterparty

Hauspost CoverbildIrgendwann einmal will ich alle, für die ich als Ghostwriterin arbeitete, zu einer Party einladen. Rund fünfzig Gäste kommen da zusammen, ein illustres Publikum. Vom Pathologen zum Popstar, von der Olympiasiegerin zum Geheimdienstagenten, von der Feuerwehrkommandantin zum Professor für forensische Psychologie. Ich mag sie alle. Denn ich habe ja eine Weile in ihren Leben gewohnt. Manche ließen mich auch in ihre Seele schauen. Man muss dazu also auf keine Coach zur Psychotherapie und auf keinen Stuhl zur Beichte. Geister schweben, Geister schreiben, Geister schweigen.

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Dichter Antiquitäten

Hauspost CoverbildDichterhandschriften erzielen immer höhere Preise, 2000 Euro für einen Brief sind da keine Seltenheit. Es lohnt sich also, unsereins kennenzulernen und zu einem Brief zu animieren. Der muss heutzutage nicht mal mehr handgeschrieben sein. Die Handschriften verschwinden ohnehin aus den Literaturarchiven. Dort werden Festplatten gelagert. Enthauptete Dichter gibt es auch viele in Museen und Hallen und Büsten und Todesmasken. Das sind dann eher Kopf- denn Handschriften. Bin gespannt auf den ersten Gehirnabdruck!

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Putzen als kreativer Akt

Hauspost CoverbildIch bin Schriftstellerin und ich putze gern. Putzen ist Inspiration. Beim Putzen erfinde ich Geschichten und begegne neuen Figuren. Ich bücke mich tief in die Badewanne und schaue in die Abgründe der Menschheit, ich kniee auf dem Küchenboden und beschäftigte mich mit den existenziellen Fragen: Woher kommen wir, wohin gehen wir, was bleibt – bei mir jedenfalls bleiben keine Putzstreifen. Weiterlesen

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Geschichten lügen auf der Straße

Hauspost CoverbildDie Geschichten liegen nicht auf der Straße. Dort habe ich noch keine einzige aufgesammelt. Auch Geldscheine nicht. Das halte ich für ein Gerücht. Vor allem da man ja auch davon ausgehen muss, dass man nicht die einzige ist, die sich nach Geschichten auf der Straße bückt. Selbst wenn dort welche gelegen hätten, wäre ich zu spät gekommen, weil andere sie bereits gepflückt hätten. Das Gleiche gilt für Geld, das auf Straßen liegt. Ist die Lüge also doch wahr?

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Wer lügt, sagt die Wahrheit

Hauspost CoverbildDas Buch, das ich im Moment in Zusammenarbeit mit dem führenden Professor für forensische Psychologie schreibe, begeistert mich. Unser Thema ist die Erinnerung, die Lüge, die Scheinerinnerung. Oft sagen Menschen im Umfeld eines Verbrechens nicht willentlich die Unwahrheit. Sie glauben sich an etwas zu erinnern, was aber nie stattgefunden hat.

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Schwarzweiß

Hauspost CoverbildIm Nachruf auf den verstorbenen Schauspieler wird spätnachts eine Fernsehdiskussion aus den 1970er-Jahren gezeigt. Schwarzweiß, klar. Und alle rauchen! Der Moderator der Diskussion steht sogar auf und gibt dem Schauspieler Feuer. Ich bin fassungslos und frage mich, was ich wohl in zwanzig, dreißig Jahren am heutigen Normalen ungewöhnlich finden werde. Und ob das dann das ist, was von gestrigen Büchern übrig bleibt: Die Freude am seinerzeit Normalen. Die vor uns haben immer gesponnen und waren barbarisch, und das sind wir im Rückblick auch.

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Früher war Lügen leichter, ehrlich!

Hauspost CoverbildMir tun alle zum Schwindeln begabten Leute leid, die jetzt manchmal schnell überführt werden, weil jeder alles über sie weiß. Ich fand das toll, etwas zu erfinden, und es kam allein darauf an, wie gut ich meine Geschichte erzählte. War mein Alibi wasserdicht?

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Wann ist ein Buch ein Buch?

Hauspost CoverbildWenn es 49 Seiten hat, laut Unesco. Bleiben Gedichte dann immer Kinder? Oder sind sie eher Formeln für Fortgeschrittene? Mit 49 Jahren, sagte mir einmal ein Ethnologe, würden Männer bei bestimmten Indianerstämmen als weise gelten. 7 x 7, Jahre, Seiten. Rilke gelingt es oft schon mit sieben Zeilen, nicht nur ein Leben, sondern unser Leben zu verdichten auf diesen einen Atemzug, mit dem wir ein Gedicht lesen.

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