Wolkenprosa

Als Kind stellte ich mir das Dasein einer Schriftstellerin, zu der ich heranwachsen wollte seitdem ich gehört hatte, dass ich einmal einen Beruf haben würde, sehr beschaulich vor. Ich würde in einem schönen Zimmer an einem schönen Schreibtisch sitzen und Geschichten erfinden, die ich mit einem gut flutschenden Kugelschreiber auf dickes Papier schreiben würde. Hin und wieder würde ich spazierengehen und nachdenken. Ich würde oft in den Himmel schauen und den Wolken zu und Bäume betrachten. Denn sind nicht sie es, die Geschichten erzählen? Zuweilen würde ich Menschen treffen und interessante Gespräche führen. Vielleicht hätte ich auch einen Hund.

„Komm aus deinen Wolkenschlössern“, sagten meine Eltern.

Sie wussten nicht, dass die Wahrheit in den Wolken steht. Ja, dass es ohne Blick nach oben auch kein schönes Unten gibt.

Viele meiner Wünsche haben sich erfüllt, und während ich dies schreibe, allerdings nicht mit Kugelschreiber auf Papier, liegt ein Hund zu meinen Füßen. Es hat allerdings lang gedauert, doch immerhin konnte ich noch ein bisschen Bücherstaub jener Zeit atmen, als Schriftsteller sein, es kam ja vor allem der männliche vor, weil Frauen nicht so gut im Denken sind – und das braucht man doch zum Schreiben? Also ich atmete den magischen Bücherstaub des vergangenen Jahrhunderts, als Worte noch ein Gewicht hatten. Als Schriftsteller nach ihrer Meinung gefragt wurden zu brennenden Fragen. Denn waren nicht sie es, die Antworten für die Gesellschaft fanden? Sie wurden hofiert von Verlegern, für manche galten sie als Stimme des Volkes. Was für eine Verantwortung! Heute hat das Volk seine eigene Stimme und das ganze Volk schreibt, es postet auch, aber die Briefträger sterben aus. Allein die Wolken ziehen noch am Himmel, immer neu, immer anders, nicht festzuschreiben.

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