Gabriele und ich

 Aus der Schreibmaschine geplaudert

Ich glaube, sie hieß Gabriele. Viele, die ich kannte,  hatten eine Gabi an ihrer Seite, beziehungsweise unter ihren Fingerkuppen. Das konnten schon Knuten sein, denn man musste regelrecht in die Tasten dreschen. Gabi nahm es mir nicht übel, das war sie gewohnt. Hell erklang das Glöckchen des Zeilenschalthebels. Kling, kling, kling. Bestimmt war mein Bizeps damals stärker als meine Finger. Und meine Finger sowieso, ich hätte klettern sollen. Hin und wieder kam es zu Typensalat, dann verhedderten sich die Hebel in Gabis Innenleben, und ich musste sie, was mit meinem geschwollenen Bizeps nicht einfach war, voller Zartgefühl an ihren angestammten Platz führen. Bloß nicht biegen. Sonst blieben sie hängen. Wenn die Buchstaben viel unterwegs waren, verschmutzten sie. Dass sie reisten, hört man schon an ihrem Namen, denn sie wohnten oft in einer Reiseschreibmaschine.

Da gab es eine rosafarbene Paste, die ich auf die Buchstaben legte. Die Paste war danach schwarz, und die Buchstaben auf dem Papier wieder konturiert. Keiner machte sich Gedanken darüber, ob die Paste in den Sondermüll gehörte. Sondermüll, das Wort kam eigentlich nur in der Chemie vor. So war das damals. Man kümmerte sich noch um seine Buchstaben. Sie bekamen auch was zu essen, meine Gabi fütterte ich mit Pelikanen. Die gab es seinerzeit noch in jedem Schreibwarenladen. Man öffnete die Tür, es ertönte ein Glöckchen, man wusste gleich, dass man bei Gabis Freunden war.

Pelikane gab es in Schwarz und Blau und sogar in Rot. Sie standen nicht unter Artenschutz, damals gab es noch so viele, auch bei uns, das Klima war einfach besser. Und Nagelstudios waren, glaube ich, auch noch nicht so verbreitet. Gabi mochte keine langen Fingernägel. Sie hätte sie rücksichtslos abgebissen. Und da die Nägel damals echt waren,  blieben sie kurz. Wenn ich es recht bedenke, wurden die Computer wahrscheinlich bloß wegen der langen Fingernägel erfunden. Man muss schon mal um die Ecke kucken, wenn man unsere komplexe Welt verstehen will. So einfach wie es uns gern erklärt wird, ist das ganze Gefüge nämlich nicht. Alles hängt zusammen, alles hängt voneinander ab.

Wenn die Pelikane nicht ausgestorben wären, hätte Gabi auch nicht verhungern müssen. Und ihr Schreibwarenhändler. Und weil Pelikane von Adlern gefressen werden, konnten die dann auch nicht mehr triumphieren und aus war’s mit Adlers Triumph. Neue Zeiten sind längst eingeläutet und bestimmt gibt es irgendwo Gabrieles Stimme zum Runterladen und jedesmal, wenn ich auf die Zeilenschaltung drücke, erklingt ihre süße Glocke, Jahrzehnte entfernt von einem Klingelton.

Teile diesen Beitrag

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert