Liebe mit Wellengang

In diesem Buch habe ich einige meiner Erfahrungen als Ghostwritern zu einem Sommerroman am See verarbeitet. Meine Heldin ist Ghostwritern, sie hat einen Hund namens Motte – und der schnappt sich eine appetitliche Beute, der auch Sinah nicht widerstehen kann …

 

 

 

Wie sich die beiden kennenlernen:

Wir kamen zu einer Art Lichtung, dort lagen kunterbunt Segel und Bretter, Masten und Rucksäcke, Klamotten und Decken, Schuhe und Handtücher von den Surfern und Kitern. Mindestens zwei Dutzend Männer – ich sah ausschließlich Männer, viele jünger als ich, aber auch ein paar ältere – waren damit beschäftigt, sich aus Neoprenanzügen zu schälen, umzuziehen, Segel durch die Gegend zu tragen und zusammenzurollen. Ein Segel knatterte laut. Motte machte einen Satz und weg war sie. Sie verschwand irgendwo im Unterholz – und dann tauchte sie wieder auf – mit fetter Beute im Maul. Sie schleppte einen ausgewachsenen Mann hinter sich her. Ich traute meinen Augen nicht. Mein Hund, die Bestie? Der Mann, den sie im Maul hielt, war ungefähr dreimal so groß wie Motte, doch sie schleppte ihn unverdrossen zum Ufer. Motte hatte bereits beide Beine amputiert. „Aus, Motte!“, rief ich. Keine Reaktion. „Aus!“, brüllte ich. Keine Frage, das war die Pubertät. Und gleich mitten rein ins Vergnügen. Wir erregten Aufmerksamkeit. Grinsend beobachteten einige der Surfer den Hund. Da hatte Motte ein Einsehen und legte mir brav die Leiche vor meine Füße. Ich bückte mich, um einen eventuellen Schaden zu begutachten, da schnappte sich Motte den Neoprenanzug und düste erneut davon. Neben mir ertönte ein Schrei. Motte rannte mit dem Anzug ins Wasser und hinter Motte her spurtete ein – das war mein erster Gedanke – Unterhosenwerbungskörper. Mindestens 1,85, wenn nicht größer, muskulöse, goldbraune Beine, sehr schmale Hüften, knackiger Po, v-förmiger Oberkörper, der in breiten Schultern mit formvollendet schönen Kugeln mündete, eine Armmuskulatur zum In-die-Knie-Sinken, schulterlange blonde Haare mit Dreadlocks. Und dann drehte er sich um. Blau. Zwei blaue Sterne oder Sonnen oder Diamanten oder Lichter. Alles blau, viel zu blau, weiche Knie, Blaulicht. Hilfe.

„Hey, ist das dein Hund?“

Voller Mund. Große Nase. Der Typ war der Wahnsinn. Motte stand im Wasser, die Leiche im Maul.

„Ob das dein Hund ist?“

Immerhin, er hatte nicht Köter gesagt. Dann wäre der Unterhosenwerbungskörper blitzschnell zusammengesackt zu einem mickrigen müffelnden Haufen dreckiger Wäsche.

„Ja“, rief ich zurück. Meine Stimme klang brüchig.

„Was?“

Der Wind hatte meine Worte fortgerissen. Er kam näher. Dynamischer Gang. Viel Schwung und Energie in den Hüften.

„Ja“, wiederholte ich.

„Und das ist mein Anzug“, sagte er.

„Ich bezahle alles“, stammelte ich.

„Süßer Hund“, sagte er und musterte mich. Ließ sich viel Zeit dafür. Unverschämt viel Zeit. Grinste. Meine Hände dufteten nach totem Fisch, meine Haare hingen wirr um mein Gesicht, mein Rock war schmutzig und irgendwo hinter mir mussten auch meine Schuhe liegen.

„Fängst du ihn oder ich?“, fragte er.

„Motte!“, rief ich.

„Motte“, wiederholte er lachend.

Motte rannte – den Neoprenanzug im Maul – auf uns zu, kratzte die Kurve und sprang ans Ufer, fetzte mit dem Anzug durch die Surfer, die ihren Spaß hatten, und den hatte Motte nun erst recht. Was für ein tolles Spiel. Eine Leiche im Maul und alle hinter ihr her, ein Johlen und Feixen. Erst als Motte über ein Segel trampelte, schlug die Stimmung um. Und dann spurtete mein Surfer los. Große schnelle Sprünge, er kam von hinten, ein Satz – und er hechtete auf den Anzug. Motte war viel zu verdutzt, um ein Manöver zu versuchen. Sie ließ sich einfach fallen, hechelte freundlich, schleckte dem Surfer übers Gesicht – und nahm ihn somit in unser Rudel auf, was himmelseits mit einem kanonenartigen Donnerschlag besiegelt wurde. Mir war alles andere als wohl zumute. Wie war das noch mal bei Gewitter? Linden meiden, Buchen suchen? Flach auf den Boden legen und beten? Was? Vater unser? Und wenn ich hängenbleiben würde? Eine Betblockade erlitte? Der Surfer knuddelte Motte.

„Hey Fritz, beeil dich!“, rief irgendwer und deutete nach oben.

Fritz also. Er sprang auf, schnappte sich den Neoprenanzug und lief zu dem pinkfarbenen Segel. Er also war das. Der Crack. Ich folgte ihm. Der Neoprenanzug lag auf dem Boden.

„Das tut mir wirklich leid“, sagte ich.

Fritz kniete am Boden, hob den Blick. „Wir sollten uns beeilen“, sagte er. „Gleich geht hier der Punk ab. Ich muss meine Sachen zusammenpacken.“

„Klar“, nickte ich. „Ich kann dir meine Telefonnummer aufschreiben“, bot ich ihm an.

„Bringst du mir mal das Trapez von da hinten?“, fragte er.

„Das was?“

„Den Gurt da.“

„Okay“, sagte ich.

Fünf Minuten später hatten wir seine Sachen eingepackt. Und dann begann es zu schütten. Es gibt da so einen Ausdruck: Der Himmel öffnet seine Schleusen. Genau das passierte an jenem Sonntag vor drei Jahren. Bis wir die Straße erreicht hatten, waren wir klatschnass. Fritz stellte sein Surfbrett und den Mast, einen Rucksack und einen Seesack vor seinen Campingbus, ich lehnte zwei große Taschen, in denen er seine Segel verstaut hatte, daneben, dann stiegen wir ein. Pfützen unter uns. Fritz gab mir ein Handtuch, ich rubbelte erst mich, dann Motte trocken. Fritz zog sich aus bis auf die Badehose – beim Einpacken hatte er eine Shorts und ein Shirt übergestreift, und ich zog mich dann auch aus, weil das nasse Zeug eklig war. So saßen wir uns gegenüber in einem Auto mit völlig beschlagenen Scheiben, er in der Badehose, ich in Unterwäsche – und ich dankte dem Himmel für meine Eingebung, vor einer Woche mit Rebecca Dessous eingekauft zu haben, sie war nämlich verliebt, und mir bei dieser Gelegenheit auch drei Ensembles zugelegt zu haben, eins davon trug ich an diesem Donnerstag im Juni zum ersten Mal, mintgrün mit weißen Blümchen. Fritz kochte Tee. Es war sehr gemütlich im Nebel. In seinem Campingbus gab es einen Kühlschrank, einen Herd und ein Bett. Ich konnte mir vorstellen, hier ein wenig Zeit zu verbringen.

„Fritz“, sagte Fritz.

„Sina“, sagte ich.

„Motte“, sagte Fritz.

Dann lachten wir und tranken Tee, und das Prasseln des Regens war so laut, dass wir uns anschreien mussten. Ich habe keine Ahnung, worüber wir redeten, doch es war so, als würden wir uns schon lange kennen. Ehrlich gesagt habe ich mich noch nie mit einem Mann von Anfang an so vertraut gefühlt, auch wenn das ein Armutszeugnis sein mag, in meinem Alter. Ich dachte, das läge vielleicht daran, dass er jünger war als ich. Süße siebenundzwanzig. Ich war immerhin über dreißig. Aber es war nicht das Alter. Es war Fritz. Einfach Fritz. Der dann zu Frizz wurde. Zwei Wochen später. Nach unserer ersten Nacht in seiner Bootshütte. Weil ich nie mit dem zufrieden war, was ich hatte, weil ich immer alles verändern, umschreiben musste. Frizz akzeptierte die Dinge, wie sie waren. Er hatte das nach Fisch stinkende Handtuch aus dem Wagen geworfen und irgendwann gemeint: „Hast du Lust, Essen zu gehen? Ich habe einen Bärenhunger.“

Ich hatte überhaupt keinen Hunger und nickte.

Frizz fragte, worauf ich Lust hatte.

„Egal“, sagte ich.

Frizz sagte, ihm wäre alles recht. „Bloß kein Fisch.“ Und dann knuddelte er Motte. Ich glaube, das war der Moment, wo sich meine Verknallt- in Verliebtheit wandelte.

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Über Luna

Die Muse der Schriftstellerin Michaela Seul kann sich über Stoffmangel nicht beklagen, denn ihr Studiensubjekt hat rund 70 Bücher in verschiedenen Genres veröffentlicht. Eines handelt von Luna. Darüber hinaus arbeitet Shirley Michaela Seul erfolgreich als Ghostwriterin. Womöglich beschäftigt Luna selbst einen Ghostwriter in ihrer Blog-Wurst? Gib gern deinen Senf dazu auf www.flipper-privat.de! Bloggende Hunde beißen nicht!

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