Die Voyeurin

Der Hund lag in seinem Korb unter dem Tisch und rührte sich nicht. Annika konnte nicht erkennen, ob seine Augen geschlossen oder einen Spalt geöffnet waren, aber sie war sicher, sollten sie geschlossen sein, wäre dies eine Falle. Wolfgang stöhnte leise. Obwohl Annika überhaupt nichts gemacht hatte, was ein Stöhnen erklären würde. Ihre Hand lag nur auf seinem Bauch. Wolfgangs Stöhnen bedeutete: tiefer. Wie sein Hund, dachte Annika. Der stöhnte auch, wenn er gestreichelt werden wollte.

„Können wir die Tür zumachen?”, fragte Annika.

„Wieso?”

„Der Hund stört mich.”

„Wenn Bijou uns nicht sieht, kratzt sie an der Tür. Das weißt du doch”, sagte Wolfgang, und natürlich wusste Annika es. Sie wusste sogar noch mehr. Wusste, dass er das sagen würde und vor allem: wie. Mit diesem leicht vorwurfsvollen Ton, der sie als Tierquälerin abstempelte, ohne dass er dieses Wort jemals benutzen würde. Wenn sie ein Hund wäre, könnte sie vielleicht Spurenelemente erschnüffeln. Als Frau hatte sie keine Chance. Annika schwieg. Ihre Hand auch. Wolfgang stöhnte. Der Hund wedelte mit dem Schwanz. Unkonzentriert streichelte Annika weiter. Bijou beobachtete sie. Schwarzer Schatten.

Als Annika Wolfgang kennen lernte, hatte sie schnell verstanden, dass sie sich nicht in seine Beziehung zum Hund mischen durfte, wenn sie ihn wollte, und das wollte sie – um jeden Preis sogar. Wobei sie heute wusste, dass sie damals nicht ermessen konnte, was das bedeutete. Ein Mann mit Hund, das war wie eine Frau mit Kind. Man musste den Menschen mit diesem Auswuchs akzeptieren. Das Anhängsel runterschlucken ohne sich zu verschlucken. In der ersten Verliebtheit, als alles so wunderbar leicht fiel, besonders das Wort Ja, ja zu allem, hatte Annika geschwärmt, wie toll es sei, einen Hund zu halten und Fotos von dem Hund herumgezeigt, gezwungenermaßen, denn sie besaß kein Bild von Wolfgang alleine; wo Wolfgang war, war auch Bijou, und es gab nur einen Ort, wo Bijou nicht war: in Wolfgangs Bett, wobei Annika sich manches Mal gefragt hatte, ob sie Bijou aus seinem Bett vertrieben hatte. Wolfgang leugnete das. Aber er hatte auch geleugnet, sie jemals geknutscht zu haben. Und das machte er, wenn er sich unbeobachtete fühlte. Am liebsten zwischen die Augen. Widerlich.

Wolfgang stöhnte noch einmal. Bijous Ohren zuckten. Der Köter schlief nicht, Annika hatte es gewusst. Tat nur so, der Köter. Die Köte, Kröte. Eine Spannerin!

Wolfgang kann weiterstöhnen bis Bijou zu jaulen anfängt, dachte Annika, bei offener Tür geht hier nichts voran.

Annika küsste ein bisschen um Wolfgangs Bauchnabel herum, und auf einmal war es um sie geschehen, all die zarten Härchen und die weiche Haut über den sogar im Liegen sichtbaren Muskelmulden. Und im Kreiseln ihres Küssens vergaß sie, was sie nicht wollte, und trudelte mit Wolfgangs Strudeln und segelte straff an seinem Stöhnen und befreite sich von ihrem Slip und strandete in Bijous Blick. Bernstein in Eis. Keine Bewegung. Kalt. Annika starrte zurück. Wolfgang stöhnte. Annika streichelte seine Wade. Und starrte. Starrte wie Bijou und kniete sich zwischen Wolfgangs Beine, den Hund im Blick. Leckte Wolfgang genießerisch wie eine Beute, und Bijou, die Hyäne winselte, jaulte und bellte ihre Niederlage zum Bett hinüber.

„Aus!”, rief Wolfgang unwillig.

Mit einem Seufzen verstummte Bijou.

„Von mir aus kannst du die Tür schließen”, sagte Wolfgang.

Sehr langsam stand Annika auf. Der Hund starrte mit abgewandtem Gesicht zur Wand.

„Adieu, Bijou”, sagte Wolfgang. Annika schlug die Tür zu und knüpfte küssend an, wo sie aufgehört hatte. Vor der Tür plumpste etwas zu Boden. Bijou hatte Platz genommen. Wolfgang zog Annika auf seinen Bauch. Ein leises Kratzen war vielleicht zu hören. Vielleicht war es aber auch der Wind. Man musste sehr angestrengt horchen, um die Geräusche zu entdecken, die hinter der Stille lauerten. Annika küsste in Wolfgangs Haar herum und versuchte, den Duft zu finden, den sie so mochte. Sie küsste sein Gesicht und über seinen Hals, küsste und lauschte. Anscheinend lauschte Wolfgang auch, denn da, wo sich etwas regen sollte, da dämmerte es vor sich hin.

Und dann sprang Bijou. Gegen die Tür. Ihre scharfen schwarzen Krallen ratschten am Lack entlang. Gleich würde die Tür zersplittern unter dem Angriff des Riesenschnauzers.

„Bijou!” rief Wolfgang. „Nein!”

Bijou, voller Freude, die Stimme ihres Geliebten zu hören, verdoppelte ihre Bemühungen, und Wolfgang sprang mit einem Satz auf und öffnete die Tür, wobei Bijou ihn wild ansprang und dann zwischen seinen Beinen zu sitzen kam, wo sie den Kopf hob und ergeben zum Gesicht ihres Herrchens schaute, während sie, was vor ihren Augen schlenkerte, inniglich abschlabberte.

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