Vorsätze

Jetzt haben sie sich ja wieder Vorsätze überlegt, die Zweibeiner. Was alles anders werden soll im nächsten Jahr. Und sie glauben tatsächlich, das klappt. Obwohl es erfahrungsgemäß nie klappt – und dann müssen wir wieder ran und irgendwas anstellen, dafür womöglich auch noch Schimpfe kassieren, bloß damit sie vernünftig werden. Zum Beispiel ihre Smartphones knacken (Vorsicht! Nicht schlucken, nur beißen!), damit sie endlich mal entspannen können.  Und vielleicht dazu die folgende kleine Geschichte lesen aus dem Buch „Luna Seelengefährtin“, für das ich als Muse verantwortlich zeichne.

Das Adressbuch

Luna war zirka fünf Monate alt, da wachte ich von einem seltsamen Geräusch auf. Ich hatte geträumt, es würde Cornflakes regnen und ordnete das Bild nun dem Geräusch zu. Passte irgendwie. Aber .. was war das? Von unten knisperte und knasperte es weiter. Ich schlug die Decke zurück. Stille. Dann begeistertes Tapsen und Trapsen zur Treppe, hecheln. Luna außer sich vor Freude, Begeisterung, Überschwang. Bloß weil ich aufstand. Das war schon herzerfrischend rührend. Über Nacht war sie wieder ein paar Zentimeter gewachsen. Sprang und tanzte und wedelte, als müsste sie unser ganzes Dorf mit Strom versorgen. Keine Spur schlechten Gewissens.

Neben dem Küchenbuffet lehnte meine Tasche, offen. Warum hatte ich sie gestern nicht auf das Buffet gestellt oder den Tisch gelegt oder ins Arbeitszimmer gebracht, wo sie hingehörte. Alles, was oben war, bedeutete Tabu, gehörte mir. Alles, was unten war … nun, da würden wir noch einiges klären müssen. Die Aktenmappe klaffte offen. Ich bekam Herzklopfen. Das zerfleischte Exposé stellte sich zum Glück als Irrtum heraus. Aber! Das Adressbuch. Auf den ersten Blick konnte man sich täuschen, doch es lag seltsam verdreht und in sich zusammengesunken neben dem Küchenstuhl.

Lunas neugieriger Blick folgte allen meinen Bewegungen. Ich bückte mich zu dem vormals viereckigen Buch. Es war nahezu dreieckig gestutzt. Milchzahn gestempelt. Ich schlug es auf. Ein dünnes Rinnsal Blut lief aus einer Ecke. Luna hatte ordentliche Arbeit geleistet. Bei A begonnen. Auf den ersten Blick sah es tatsächlich aus, als fehlten nur die Seiten mit A. Luna wedelte dienstbeflissen. Sie hatte schön gründlich vorne begonnen. Von wegen unstrukturiert, nein, das Alphabet begann mit A, nicht mit den zehn, zwölf Vorseiten mit Ferienterminen, Weltzeitkarten, persönlichen Daten. Durfte ich jetzt intervenieren? War es nicht schon längst zu spät, wie Frau Bärmann, die Hundetrainerin, predigte? Sie haben nur maximal fünf Sekunden Zeit, um dem Hund einen Zusammenhang klar zu machen. Aber die Tasche stand unten und unten war pfui.

Ich hob das Adressbuch, sagte laut und bestimmt NEIN, packte Luna am Nackenfell. Sie wurde sofort kraftlos und schwach und mein Zorn weich wie ihr Welpenflaum. In ihrem Körbchen fand ich ein paar Fetzen von A. Ich sammelte sie ein. Ziffern ohne Zusammenhang. Hinter der Heizung fand ich Reste von B und F. Und vor dem Badezimmer zuckte R im Todeskampf. Ich sammelte alle Gebeine und legte sie auf den Küchentisch. Luna beobachtete mich. Ein wenig zu interessiert, wie ich fand. War das ein Test: Wie verhält sie sich in Krisensituationen? Und: War das eine Krisensituation? A fehlte komplett. A wie Anatol, das war sehr bedauerlich, A wie Amanda, das war eine Katastrophe, A wie Arthur, ein Glücksfall, A wie … wer noch? Armin? Luna gähnte. Ja, Armin war langweilig. Obwohl ich ihn kürzlich noch als guten Freund bezeichnet hatte. Merkwürdig. Seit Luna im Haus war, war vieles andere verblasst. Bestimmt war A kein unersetzlicher Buchstabe.

B hätte ein Desaster bedeutet. Wer stand noch mal unter B … nein, B war ein schlechtes Beispiel. B war ja auch als Buchstabe nicht ernst zu nehmen. Ziemlich weit vorne, aber doch im Schatten des ewig Ersten, nein, es gab viel zu viele Leute, die hießen Bauer oder Berger oder Beate, mindestens fünf Beates kannte ich, auch wenn mir im Moment keine einfiel. B war zu verschmerzen. S wäre ein Unglück gewesen! Luna wedelte. Luna wusste, worauf es ankam. Ich versuchte die Seiten mit S im Kopf zu rekonstruieren. Scheiterte. Das gab mir dann schon zu denken. Irgendwie war ich zurzeit anderweitig beschäftigt. Mit Gassi und Bauchkraulen und Erziehungsmaßnahmen und Frau Bärmann und Job und Johannes und Haushalt und dazwischen … immer dieses hingerissene Starren zum Körbchen. Wie sie schlief. Wie sie atmete. Wie sie zuckte. Und diese Ohren. Diese samtigen Lappen. Ich warf das Adressbuch in Lunas Körbchen und ging erst mal duschen. Hätte ich dabei wedeln können, ich hätte die ganze Kreisstadt mit Strom versorgt. Mal sehen, welche Prioritäten meine neue Lebensgefährtin setzen würde.

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Über Luna

Die Muse der Schriftstellerin Michaela Seul kann sich über Stoffmangel nicht beklagen, denn ihr Studiensubjekt hat rund 70 Bücher in verschiedenen Genres veröffentlicht. Eines handelt von Luna. Darüber hinaus arbeitet Shirley Michaela Seul erfolgreich als Ghostwriterin. Womöglich beschäftigt Luna selbst einen Ghostwriter in ihrer Blog-Wurst? Gib gern deinen Senf dazu auf www.flipper-privat.de! Bloggende Hunde beißen nicht!

4 Gedanken zu „Vorsätze

  1. Monika Weber

    Liebe Frau Seul,
    ich möchte die ausklingenden Feiertage nutzen, mich einmal bei Ihnen für Ihren tollen Hundeblog zu bedanken. Beziehungsweise bei Luna und Miss Lomax. Ich freue mich immer, wenn ich Nachricht von Ihnen habe und muss oft schmunzeln beim Lesen. Manche Ihrer Gedanken fallen mir dann im Lauf eines Tages noch einige Male ein. Ich freue mich auf Ihre neuen Ideen und grüße Ihre Rasselbande mit den besten Wünschen für 2014.
    Ihre treue Leserin Monika Weber

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    1. Luna Beitragsautor

      Liebe Frau Weber,
      danke für Ihr schönes Feedback. Das freut mich … uns! Und klar machen wir weiter! Für Sie auch ein glückliches 2014 und schöne Grüße!

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